
Rezension: Wer, wenn nicht ich
Neulich geschah es, dass mich eine Krankheit einige Tage darnieder warf (ich glaube, bei der Recherche in der Eifelhöhen-Klinik zog ich mir einen Krankenhauskeim zu). Gemäß Yin- und Yang-Philosphie hat ein Übles durchaus auch etwas Gutes. Und in der Tat: Ich fand die Zeit, das gerade neu erschienene Buch von Henryk M. Broder zu lesen.
Ich sollte besser "Büchlein" sagen, denn bei "Wer, wenn nicht ich" handelt sich um ein eher kleinformatiges Buch (ca. 21*14 cm) von rund 200 Seiten.
Die Lektüre dieser Neuerscheinung war aus meiner Sicht in der Tat etwas "Gutes", denn Broders Formulierungskunst und gute Beobachtungsgabe kombiniert mit dem Sinn für eine gute Geschichte sowie feinem Humor bereiteten mir höchstes, durchaus kurzweiliges Lesevergnügen.
Der Autor stellt direkt zu Beginn klar, dass sein neues Buch keineswegs das Ergebnis aufwendiger Recherche sei. Es sei vielmehr das "Ergebnis des tägichen Konsums von frei zugänglichen Massenkommunikationsmitteln".
Und so nimmt sich Broder in ca. 36 kurzen Kapiteln entsprechende Medienereignisse in der Bundesrepublik im Jahr 2019 vor (das Buch wurde laut seinen Angaben von Ende Juni bis Ende September 2019 geschrieben).
Ob "Normen für Streichfette", ein Beitrag zum "klimagerechen Reisen" in den Tagesthemen, oder Heinrich Bedford-Strohm, der von einer "Schande für Europa" spricht. Lakonischer Kommentar Broders zu Letzterem: "Ich kann Heinrich Bedford-Strohm, der bei seinem letzten Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg sein Kreuz abgelegt hat, nur raten, mit dem Begriff `Schande´ sparsam umzugehen."
Natürlich nimmt Broder diverse Politiker aufs Korn. Was sich seiner Ansicht nach Bahn bricht, ist der "Totalitarismus der Besorgten, die im Namen ´künftiger Generationen´ auftreten, um sich selbst zu ermächtigen, Gebote und Verbote auszusprechen (...)".
Broder ist laut seiner Aussage "moralisches Übermenschentum verdächtig". So hat er "kein Verständnis für Eltern, die eine Stiftung zugunsten von Flüchtlingen gründen, nachdem ihre Tochter von einem Flüchtling ermordet wurde." Broder stattdessen: "Im Gegensatz zur landläufigen Meinung halte ich Rache für ein legitimes Motiv".
Bei der Lektüre des Buches blieb mir an einigen Stellen das Schmunzeln gewissermaßen im Halse stecken ob der Absurditäten mancher bundesdeutscher Politiker/Prominenter. Wie gut, dass es da Henryk M. Broder gibt. Was wäre Deutschland ohne ihn? Er beantwortet dies selbst, Zitat:
"Hätten meine Eltern nicht überlebt, wäre ich nicht da, dann wäre Deutschland nicht ganz so bunt und vielfältig wie es heute ist, dafür aber eine Spur harmonischer."
Einen Sachfehler fand ich: Auf Seite 74, wenn es heißt, dass die Staatsleistungen an die evangelische und katholische Kirche "Entschädigung für enteigneten Besitz im 19. Jahrhundert, also zur Zeit des Kulturkampf unter Bismarck" sind.
Da war aber - wenn ich mich nicht irre - nicht der gute alte Bismarck, sondern der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 (mit der Säkularisation von Eigentum der Kirchen) die historische Ursache.
Insgesamt für politisch Interessierte Leseempfehlung meinerseits für:
Henryk M. Broder: Wer, wenn nicht ich
Viele Grüße,
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt