Rezension: Die Exponentialgesesellschaft

Rezension: Die Exponentialgesesellschaft

Neulich legte ich eine Excel-Tabelle an, um die möglichen Auswirkungen eines Fonds-Sparplans im Lauf der Jahre anzuschauen. Dabei fiel mir wieder einmal das auf, was ich

  • theoretisch längst weiß ("eh scho´ wissen")
  • was mich aber dennoch immer wieder verblüfft

- nämlich die Macht des Zinseszins-Effektes.

Oder anders formuliert: Die Macht des exponentiellen Wachstums!

Natürlich dachte ich dabei an das Albert Einstein zugeschriebene Zitat:

Der Zinseszins-Effekt ist das achte Weltwunder. Wer ihn versteht, verdient daran, alle anderen bezahlen ihn.

Und wie es der Zufall/Fügung/o.ä. wollte, stieß ich kurz darauf auf eine interessant klingende Buch-Neuerscheinung namens "Die Exponentialgesellschaft".

Darin untersucht der Autor - Juniorprofessor für soziologische Theorie -  Emanuel Deutschmann die Auswirkungen von exponentiellem Wachstum in unserer Gesellschaft.

  • Erfreulicherweise greift er dazu sehr unterschiedliche Größen auf,
  • wie die CO2-Moleküle in der Atmosphäre,
  • die Kraft der Rechnerleistung
  • oder die Zahl der mit Corona infizierten Personen in der vorigen Pandemie.

Allen gleich ist dieses Bild (ähnlich wie in meiner Excel-Tabelle):

Das Wachstum in Prozent bleibt gleich...aber aufgrund der steigenden Bezugsgröße nimmt das Wachstum in absoluten Zahlen immer mehr zu...

...das sieht zunächst "harmlos" aus, aber "dann geht die Kurve plötzlich fast senkrecht nach oben", so der Autor. Exponentielles Wachstum eben, da haben wir es!

Die Stärke des Buchs ist meiner Ansicht nach der Praxisbezug, da für unseren Alltag bzw. grundsätzlich für unser Leben auf diesem Planeten relevante Größen untersucht werden.

Dabei erkenne ich auch die Fleißarbeit des Autors an, in einem längeren Anhang listet er detaillierte Informationen zu den untersuchten exponentiellen Trends auf, inklusive Datenquelle.

Er behandelt das Thema aus meiner Sicht umfassend, und mit einigen - für mich zumindest - erstaunlichen Erkenntnissen. So sieht er die oben genannten Beispiele für exponentielles Wachstum durchaus als verbunden an. So kann exponentielles Wachstum bei KI, der Zahl der CO2-Moleküle in der Luft, der Rechen"power" durchaus verknüpft sein...

Und er nennt auch Beispiele dafür, wie exponentielles Wachstum aufhören kann. Denn es muss nicht zwangsläufig längere Zeit fast senkrecht nach oben gehen...das geht bei einer physischen Bezugsgröße ja auch keineswegs unbegrenzt...

Ein interessantes Buch, das mir wieder einmal die Macht exponentiellen Wachstums vor Augen geführt hat. Und das ist auch jenseits der Börsen wichtig, wie die angesprochenen Trends zeigen, sozusagen aus staatsbürgerlicher Sicht.

Vielleicht ist es deshalb ganz gut, dass der Autor Spezialist für soziologische Theorie ist und somit gesamtgesellschaftliche Entwicklungen im Blick hat.

Das Buch zeigte mir auch wieder einmal, dass wir Sterbliche gerne linear denken, exponentielles Wachstum ist für unseren Intellekt grundsätzlich nicht intuitiv greifbar (ich spreche da von eher schwerfälligen Exemplaren unserer Spezies wie mich selbst).

Also uneingeschränkte Leseempfehlung?

Leider nein. Meine Begründung:

Denn der Autor ist nicht unbedingt ein populärwissenschaftlicher Autor...

...sondern er schreibt - aus meiner Sicht leider - eben so, wie das deutschsprachige Akademiker eben gerne tun. Etwas umständlich, um es einmal so zu formulieren. Als Beispiel dafür möchte ich zwei Sätze aus dem Buch zitieren (Seite 41):

"Was mir hier vorschwebt, ist eine Fortentwicklung dieser Idee Simmels hin zu einer formalen Soziologie im wörtlichen Sinne, die tatsächlich auf geometrische Formen rekurriert und nicht nur auf soziale, die ja eigentlich eher Konzepte sind. Schon bei Simmel selbst gibt es mit der berühmten Kreuzung sozialer Kreise ein Beispiel für die Verwendung einer solchen geometrischen Form (in einem gleichnamigen Buchkapitel beschrieb er die soziale Position eines Menschen als einzigartigen Schnittpunkt verschiedener Zirkel - und legte so elegant die Gleichzeitigkeit von Individualität und gesellschaftlicher Bindung offen)."

Solche Sätze schrecken mich eher ab, auch da ich die "berühmte Kreuzung sozialer Kreise" keineswegs kenne und auch am Satzaufbau etwas verzweifelte.

Deshalb insgesamt ein eher gemischtes Fazit meinerseits für:

Emanuel Deutschmann: Die Exponentialgesellschaft

Eine kostenlose Leseprobe in Form einer PDF-Datei finden Sie bei Interesse unter diesem Link.

Angenehme Lektüre!

Ihr

Michael Vaupel

Diplom-Volkswirt / M.A.

Michael Vaupel

"Fairness, Respekt vor Mensch und Tier sowie der gewiefte Blick für clevere Investment-Chancen - das lässt sich meiner Ansicht nach sehr wohl vereinen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Ansicht gemeinsam vertreten werden - auch gegen den Mainstream."

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