Schubladendenken bei Energiewende?

Schubladendenken bei Energiewende?

Gastbeitrag von Luisa Lange, Sustainability Management bei Ethius Invest

Nachhaltige Geschäftsmodelle bieten kein Garant für nachhaltige Geschäftspraktiken

Anlageprodukte suggerieren häufig einen Beitrag zur Überwindung realer Nachhaltigkeitskrisen wie den Klimawandel, den Verlust an Biodiversität oder den mangelnden Zugang zu sauberem Trinkwasser zu leisten. Ein genauerer Blick auf den Leistungsnachweis von Nachhaltigkeitsfonds verrät, dass viele Anbieter eine Auswahl von Unternehmen anhand von Geschäftsmodellen vornehmen und dabei die Geschäftspraktiken der identifizierten Unternehmen für eine Titelselektion und die Wahrnehmung von Aktionärsrechten nur unzureichend berücksichtigen.

Sind Investitionen in die Energiewende stets gleichzusetzen mit zukunftsorientierten Anlagen?

Die Solar- & Windstrombranche sowie die Mobilität mittels Elektrobatterien sind Beispiele für populäre Lösungen auf die oben genannten Krisen. Obgleich es fraglich ist, inwieweit mit technischen Vorkehrungen allein ökologische Schäden abgewendet werden können, haben bereits sämtliche Industrien das Mantra des grünen Wachstums als Fortschrittsverheißung verinnerlicht. Nach diesem Motto strömen neue Produkte und Dienstleistungen in den Markt, ein Beispiel mit Symbolcharakter: der E-SUV. Es wird vermittelt, gesellschaftlichen Konsum und Verhaltensweisen nahezu unverändert beibehalten zu können. Dagegen ist das Wachstum des Ressourcenverbrauchs der zentrale Treiber und die Hauptursache der genannten Umweltveränderungen.

Wirtschaftssektoren wie z.B. Elektromobilität bringen die Energiewende voran, denken viele InvestorenInnen und behandeln die Investitionen oftmals synonym für zukunftsfähige und somit auch nachhaltige Anlagen. Dieses Schubladendenken führt jedoch nicht selten zu Fehlinvestitionen. Denn Kriterien in der Beurteilung von Nachhaltigkeit eines Unternehmens bedürfen einer ganzheitlichen Betrachtung. In diesen Analysen werden komplexe Wertschöpfungs- und Lieferketten von global agierenden Unternehmen untersucht.

Wachstumsmarkt Elektromobilität

Dabei werden spezifische Unternehmensvorgänge auf den Prüfstand gestellt, vor allem wenn das jeweilige Unternehmen beispielsweise von Ressourcen Gebrauch macht, die in ein komplexes Ökosystem eingebunden sind und stets in Bezug zu ihrer sozialen und ökologischen Umwelt betrachtet werden müssen. Im Fokus solch einer Prüfung stehen dann Fragen wie: Welche Auswirkungen haben die als nachhaltig gekennzeichneten Geschäftsmodelle auf die Umwelt und die Menschen im Produktionsland des globalen Südens und auf reale Lebensbedingungen vor Ort?

Lässt das Land und die dortige Regierung den geforderten Transparenzstandard für diesen Stakeholder-orientierten Ansatz überhaupt zu? Letztere Frage ist essentiell, denn ein hoher Transparenzfaktor der Unternehmen stellt die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Investmentanalyse dar.

Beispiel von unzumutbaren Praktiken in Solarunternehmen

Ein Bericht des Helena Kennedy Center der Sheffield Hallam Universität «In Broad Daylight», herausgegeben im Mai 2021, erklärt, in welchem Ausmaß die Solarindustrie in Zwangsarbeit von Millionen von Uiguren verwickelt ist. Die Beweislast stützt sich auf eine umfangreiche Untersuchung über die gesamten Wertschöpfungsketten von Solarpanels, angefangen vom Rohstoffabbau bis zur Produktion.

Es stellt sich heraus, dass insgesamt 90 chinesische und internationale Unternehmen durch ihre Lieferketten nachweislich von Zwangsarbeit profitieren. Bei der tieferen Betrachtung von Chinas Lieferkette im Solarbereich wird klar, dass im Jahr 2020 circa 45% des weltweiten Angebots an Polysilizium in Solarqualität, dem wichtigsten raffinierten Material zur Herstellung der Sonnenkollektoren, aus der autonomen Region Xinjiang der Uiguren in China stammte.

Die Zwangsarbeit ist nicht das einzige Risiko der Solarbranche in Xinjiang, welches internationale Wertschöpfungsketten betrifft. Zur Herstellung von Solarkollektoren werden enorme Mengen an Kohle, dem schmutzigsten der fossilen Brennstoffe, unter hohen Subventionen des Kohlemarkts durch die chinesische Regierung verbrannt.

Während also immer mehr AnlegerInnen, angetrieben von der Energiewende, gezielt nach Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien suchen, ist ihnen das mögliche Ausmaß der damit einhergehenden CO2-Emissionen in der Produktion von Solarpanels wahrscheinlich nicht bewusst.

Beispiel für ein PV-Projekt. Quelle: MPC Capital

Wie können Investitionen in Unternehmen mit schädigenden Geschäftspraktiken vermieden werden?

Kontroverse Geschäftspraktiken können im Anlageprozess systematisch untersucht und mehrheitlich umgangen werden.

Dafür werden branchen-, sektor- und unternehmensspezifische Kriterien entlang der jeweiligen Lieferkette definiert und im Rahmen von Ausschlusskriterien abgefragt.

Durch die Anwendung von Negativkriterien können sowohl ganze Geschäftsfelder wie die Rüstungsindustrie oder Hersteller von genmodifizierter Nahrung als auch Unternehmen mit kontroversen Geschäftspraktiken wie die Übernutzung von Gewässern oder nachgewiesener Korruption ausgeschlossen werden. Ausschlusskriterien sind demnach ein geeignetes Anlageinstrument, um eine Vorselektion zu treffen.

Besonderes Augenmerk gilt während des Screenings den Sektoren, die für spezifische Anfälligkeiten bereits bekannt sind. Sie weisen bei bestimmten Wertschöpfungsstufen ökologische und soziale Hotspots auf und unterliegen daher einer besonderen Risikoprüfung.

Darüber hinaus stehen einem ethisch nachhaltigen Vermögensverwalter wie Ethius Invest Instrumente zur Verfügung, mit denen er nicht nur vor dem Anlageentscheid gezielter selektieren kann, sondern durch dessen Anwendung auch nach dem Anlageentscheid auf überraschende Kontroversen und Verstöße eines Unternehmens unmittelbar reagiert werden kann.

Luisa Lange, die Autorin dieses Gastbeitrags

Die Anlagestrategie mit der Untersuchung von Geschäftspraktiken im Fokus: Engagement

Grundvoraussetzung für die Durchführung dieser Anlagestrategie ist, dass wir als Vermögensverwalter für unseren Fonds die Aktionärsrechte der Kunden treuhänderisch und systematisch wahrnehmen. Dabei bedienen wir uns primär zwei Instrumente, die individuelle Stimmrechtsabgabe auf Hauptversammlungen und die Dialogaufnahme mit den Unternehmen.

Häufig wird aktuell noch unterschätzt, wie groß die potenzielle Einflussnahme von InvestorInnen auf Geschäftspraktiken von Firmen sein kann, wenn es um die dringend notwendigen Verbesserungen in Umwelt- und Sozialfragen geht.

Mit einem individuellen Stimmrechtskatalog stellen wir vor jeder Hauptversammlung pointierte Fragen, die die Anforderungen an Unternehmen verdeutlichen. Eine Nichtentlastung einzelner relevanter Tagesordnungspunkte auf Hauptversammlungen ist demnach keine Seltenheit, wenn zum Beispiel das Unternehmen auf fundierte Weise Kontroversen in intransparenten Lieferketten aufweist oder nachweislich keine ambitionierten Klimaziele gesetzt hat.

CO2-Bericht

Ein weiterer wichtiger Bestandteil für eine transparente, vollumfängliche Berichterstattung ökologischer Nachhaltigkeits-Indikatoren eines Fonds ist der Ausweis der erzeugten Treibhausgasemissionen, die sich aus dem Bestand der Unternehmen im Fonds ergeben und im Verhältnis zu einer «Benchmark» (wie z.B. den SMI oder den MSCI World) oder auch anderen Fonds gesetzt werden können. Die verschiedenen Messmethoden können als Summe der Scope-1- (direkte Emissionen), Scope -2- (indirekte Emissionen) sowie der Scope -3- (alle Emissionen entlang der Lieferkette von vor- und nachgelagerten Aktivitäten) ausgewiesen werden. Durch einen sog. CO2-Portfolio-Report können damit Treibhausgasemissionen des Portfolios transparent durchleuchtet werden.

Auch wenn ein CO2-Portfolio-Report als ein sinnvolles Instrument zu der Auswahl von Fonds mit geringem Umwelt-Fußabdruck erscheint, ist in diesem Zusammenhang relevant diese Vergleiche im sektorspezifischen Kontext zu betrachten. Nur der relative CO2-Ausstoß ist für eine aussagekräftige Analyse zielführend. Ein Universum, welches sich primär durch niedrige CO2-Werte, unabhängig der damit verbundenen Branchenallokation misst, wäre z.B. eines, welches überdurchschnittlich hoch in Technologie- und Internetunternehmen und wenig in klassische Industrieunternehmen exponiert ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der CO2-Ausstoß nur einen wichtiger Wert in der Nachhaltigkeitsanalyse, neben Wasser, Biodiversität, sozialen Bedingungen etc. darstellt.

Fazit

Die Frage nach zukunftsfähigen Geschäftsmodellen und nachhaltigen Geschäftspraktiken von Unternehmen, also dem «Was» und dem «Wie», kann im Zusammenhang mit nachhaltigen Anlagen nicht häufig genug gestellt werden.

Ein tieferer Blick in die Wertschöpfungsketten von Unternehmen, die gleichzeitig als Sinnbild für eine nachhaltige Entwicklung stehen, offenbaren nicht selten tiefe Missstände.

Institutionelle InvestorInnen als auch KleinstaktionärInnen tragen eine Verantwortung für die Menschen und die Umwelt entlang der Wertschöpfungsketten. Zu diesem Zweck sollten AnlegerInnen die mit ihrem Anlageportfolio verbundenen Menschenrechts- und Umweltszerstörungsrisiken vor einer Anlage explizit prüfen. CO2-Portfolio-Reports stehen nicht stellvertretend für die Nachhaltigkeitsleistung des Finanzproduktes.

Der CO2-Fußabdruck ist zwar im Verhältnis zu nicht quantifizierbaren Faktoren relativ einfach mathematisch darzustellen.

Für die komplexe Beurteilung von der Nachhaltigkeitsleistung ist es jedoch nur ein Maßkriterium unter vielen weiteren essenziellen Leistungsindikatoren. Entlang einer Investitionslebensdauer muss durch die aktive Wahrnehmung von Aktionärsrechten Einsatz gezeigt werden, dass diese Prüfung an Unternehmen anhält. Eine transparente Dokumentation dieser Aktivitäten kann die Qualität einer ethisch-nachhaltigen und verantwortungsvollen Vermögensverwaltung validieren und Greenwashing von ambitionierten Konzepten entlarven.

AnlegerInnen können dem Anhang A (Seite 48) des Berichts der Sheffield Hallam Universität (s. Quelle) beispielhaft verwenden, um ihr Anlageportfolio auf die im Artikel aufgezeigte Kontroverse zu überprüfen. Er enthält eine Liste mit 90 Unternehmen mit Details zu den Verwicklungen in Zwangsarbeit.

Quelle: https://www.shu.ac.uk/helena-kennedy-centre-international-justice/research-and-projects/all-projects/in-broad-daylight

Michael Vaupel

"Fairness, Respekt vor Mensch und Tier sowie der gewiefte Blick für clevere Investment-Chancen - das lässt sich meiner Ansicht nach sehr wohl vereinen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Ansicht gemeinsam vertreten werden - auch gegen den Mainstream."

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