Carlo Levi: Die doppelte Nacht
Im Laufe der Jahre habe ich Neuerscheinungen der Reihe "C.H.BECK textura" schätzen gelernt. Da werden ältere Texte (neu) aufgelegt - beispielsweise vor Jahrzehnten erschienene Reportagen eines reisenden Autoren.
Genau das ist hier der Fall: Der italienische Schriftsteller Carlo Levi (1902-1975) schildert seine höchst subjektiven Eindrücke seiner ersten Deutschlandreise in den 1950ern.
Den Autoren kenne ich schätze ich, weil ich vor knapp 20 Jahren sein Werk "Christus kam nur bis Eboli" verschlungen hatte.
Und da mich die Eindrücke eines Italieners mit Beobachtungsgabe und Schreibvermögen über das Deutschland der 1950er Jahre interessierten, las ich diese Neuerscheinung mit Interesse.
Wie ich es vermutet/gehofft hatte, schreibt Carlo Levi "frei von der Leber" - und er versteht kleine Details zu beobachten und gut zu beschreiben. Er vermag eben gute Geschichten zu erzählen.
Im Falle Deutschlands der 1950er steht für ihn - natürlich - noch der Zweite Weltkrieg als Thema im Raum. Wie konnten solche "normalen" Menschen 15 Jahre zuvor teilweise zu Mördern werden, so ein Gedanke von ihm.
Auch interessant: Er hat den Eindruck, die Gesichter der Menschen auf den Straßen und in den Gasthäusern bereits zuvor gesehen zu haben.
Und zwar auf den "herrlichen Gemälden der ersten deutschen Maler" wie Stephan Lochner oder Martin Schongauer, Cranach den Älteren oder auch Dürer oder Grünewald.
Diese Maler hätten ihrem Volk außerordentlich naturalistische Abbilder gegeben - "völlig frei von dem, was man als `Idealschönheit´ bezeichnet".
Anekdotenhaft schildert der Autor seine Erfahrungen mit "ganz normalen" Deutschen.
Erfreulicherweise reist er nicht mit abgehobener Akademiker Sicht, sondern bleibt z.B. in München bis zum "Rauskehren" im Hofbräuhaus und zieht danach noch mit einigen Deutschen weiter in eine Art Spelunke, die noch geöffnet hat. Seine Gespräche mit dortigen mittelalten, teilweise melancholischen Frauen sind seltsam berührend.
Überhaupt sieht Carlo Levi das Menschliche in jedem Individuum, verurteilt nicht, zeigt Sympathie gerade mit den gebrochnenen Charakteren. Und er ist weit davon entfernt, etwa pauschale Urteile über die Schuld einer Nation wegen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg abzugeben.
Insgesamt eine klares Leseempfehlung meinerseits für historisch Interessierte:
Carlo Levi: Die doppelte Nacht
Eine kostenlose Leseprobe in Form einer PDF-Datei finden Sie bei Interesse unter diesem Link.
Angenehme Lektüre!
Ihr
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt / M.A.