Deutsche Frauen in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika
Da ich neulich ein englischsprachiges Buch über die deutsche Kolonialgeschichte im heutigen Namibia veröffentlicht habe (hier das Vorgängerbuch auf deutsch), schaue ich mir mit Interesse an, was sonst so zum Thema Kolonialgeschichte Namibias aktuell erscheint.
Und so geschah es, dass ich auf folgende Neuerscheinung mit etwas sperrigem Titel aufmerksam wurde:
Ellen Brammer: Kritische Analysen zur Perspektive weißer deutscher Frauen in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika (1884-1915)
Normalerweise verliere ich schnell das Interesse, sobald jemand den Fokus auf die Pigmentierung der Haut legt. Ich besann mich indes auf den Philosophen Karl Popper und sein empirisches Falsifikationsprinzip. Dem habe ich einen gewissen subjektiven Schliff gegeben und versuche, es derart zu beachten: Ich stelle gerne Behauptungen über dies oder das auf - doch statt dann nach Dingen zu suchen, die das bestätigen...
...suche ich lieber nach Dingen, die das falsifizieren.
Die Annahme dabei: Selbst wenn ich 100 Beweise finden würde, die meine These stützen, wäre das noch kein hinreichender Beweis dafür, dass ich auch Recht habe. Wenn ich hingegen einen einzigen Beweis dafür finde, dass ich Unrecht habe, dann reicht das, um meine These zu falsifizieren. Das sollte ich dann aber auch freimütig eingestehen.
Wieso ich bei der Rezension zur oben genannten Neuerscheinung diese Gedanken hatte:
Beim Probelesen der ersten Seiten fielen mir direkt einige Punkte auf, die mir regelrecht körperlichen Widerstand gegen die Lektüre aufzeigten. So betont die Autorin zum Beispiel die "Begrenztheit meiner Perspektive", da sie eine "weiße deutsche Frau" sei. Eine solche Ansicht finde ich höchst gefährlich - besagt sie doch letztlich, dass sich nur ein direkt Betroffener zu einem Sachverhalt äußern sollte. Ich sehe es aber gerade als Aufgabe von Wissenschaftlern, gewissermaßen über die subjektive Brille hinauszuschauen und Entwicklungen möglichst neutral einzuordnen und zu schildern.
Ein weiteres Beispiel: Die Autorin schreibt in der Einleitung, ich zitiere: "Eine Schuld lastet auf den Nachfahren der ehemaligen Kolonisatoren und Kolonisatorinnen".
Eine solche These einer Schuld qua Geburt lehne ich selbstverständlich ab.
Sie merken schon: Ich machte mich gerade wegen dieser meiner unterschiedlichen Ansichten an die Lektüre. Denn es versprach keine angenehme Lektüre zu werden - aber dafür eine vielleicht erkenntnisreiche. In der Hoffnung, meine eigenen Thesen an teilweise diametral entgegenstehenden Aussagen zu messen...und vielleicht zu falsifizieren.
Das Kernstück des Buches ist die Analyse von vier Büchern zum Thema "Deutsch-Südwestafrika (1884-1915)".
Den Ansatz finde ich durchaus interessant: Denn die Autorin hat zwei Autobiographien von deutschen Frauen um die Jahrhundertwende in "Deutsch-Südwest" ausgewertet:
- Else Sonnenberg: Wie es am Waterberg zuging
- Margarete von Eckenbrecher: Was Afrika mir gab und nahm
Demgegenüber stellt sie zwei historische Romane mit Bezug auf "Deutsch-Südwest", geschrieben vor jeweils einigen Jahren, aber nach dem Jahr 2000:
- Andrea Paluch/Robert Habeck: Der Schrei der Hyänen
- Patricia Mennen: Der Ruf der Kalahari
Diese Gegenüberstellung finde ich grundsätzlich sehr interessant. Allerdings finde ich die Vorgehensweise für mich als Leser ermüdend.
Denn bei jedem der genannten Bücher beginnt die Autorin mit einer umfangreichen Schilderung des Inhalts.
Beispiel "Der Schrei der Hyänen": Laut Autorin spielen bei diesem Roman rund 152 Seiten thematisch in "Deutsch-Südwestafrika". Die Autorin schafft es nun, rund 100 Seiten Inhaltsangabe und Analyse zu diesem Roman zu verfassen.
Diese ganze umfangreiche Inhaltsangabe - natürlich ist da aber auch eine Analyse "inklusive" - hätte ich mir am liebsten größtenteils "gespart" (denn dann hätte ich auch direkt das Buch "Der Schrei der Hyänen" lesen können).
Bei den beiden Autobiographien aus der Kolonialzeit überlegt die Autorin, wieso diese nicht eine kolonialkritische Haltung eingenommen haben. Die Erklärung dafür hat sie schnell parat: "Die finanziellen Folgen wären für sie und ihre Kinder fatal gewesen" (im Fall von Else Sonnenberg) oder "mit einer öffentlich vertretenen kolonialkritischen Haltung wäre ihr eine Lehrtätigkeit und somit die finanzielle Absicherung ihrer kleinen Familie nicht möglich gewesen" (im Fall von Margarete von Eckenbrecher).
Meiner unmaßgeblichen Ansicht zufolge begeht die Autorin dabei den grundlegenden Fehler, ihre - heutigen - Wertmaßstäbe auf die damaligen Protagonistinnen zu übertragen. Der Gedanke, dass die beiden Frauen sich nicht kolonialkritisch geäußert haben, weil sie eben "pro Kolonialpolitik" waren, ist meiner Ansicht nach naheliegender. Wenig überraschend hat die Autorin auch wohlwollendere Autobiographien (Beispiel "Wie ich die Herero lieben lernte") aus der Zeit um die Jahrhundertwende ausgeblendet.
Die Autorin erläutert auch den historischen Hintergrund - und auch da musste ich einige Male zumindest innerlich den Kopf schütteln. Beispiel Abschluss von "Schutzverträgen" zwischen den Bevollmächtigten des Deutschen Reichs und einzelnen Stammesvertretern (in Namibia damals "Kapitäne" genannt). Sie schreibt da, dass die "autochthone Bevölkerung, die sich ohnehin aufgrund ihres Analphabetentums auf das Vorgelesene der ´Weißen´verlassten musste", benachteiligt wurde.
Dieses Bild erinnert mich zu sehr an die Charakterisierung des "edlen Wilden", der gutgläubig das glaubt, was ihm die weißen Kolonialherren vorlesen.
Die Wirklichkeit war natürlich ganz anders und bedeutend komplexer.
Ich habe selbst für meine Arbeit (siehe oben) Quellen auch von Seite der "Eingeborenen" ausgewertet. Ich nenne nur den "Kapitän" des Stammes der Witboois (Nama), Hendrik Witbooi. Dieser lieferte sich auf hohem Niveau Wortgefechte mit deutschen Amtsträgern in Form von Briefwechseln. Dabei ließ Hendrik Witbooi Register anlegen und Kopien seiner Briefe zurücklegen. Das passt natürlich "Null" zur obigen Schilderung der Autorin.
Sie merken schon, die Lektüre des Buches brachte mir wenig Lesefreude und leider auch wenig Erkenntnisgewinn.
Dabei half auch nicht, dass der Schreibstil der Autorin zeitweise recht "elfenbeinturm-abgehoben" daherkommt, ich zitiere aus Ihren abschließenden Worten:
Die Gesellschaft und die Vertreter und Vertreterinnen der Politik Deutschlands sollten sich unermüdlich bemühen, die Präsenz der Vergangenheit in pädagogischen Möglichkeitsräumen zu offerieren, die weite Teile der deutschen Gesellschaft ansprechen und darüber eine postkoloniale Perspektive als Normalität in den intersubjektiven Raum der Kommunikation hereinholen bzw. zu fördern.
Insgesamt leider keine Leseempfehlung meinerseits für:
Ellen Brammer: Kritische Analysen zur Perspektive weißer deutscher Frauen in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika (1884-1915)
Mit herzlichem Gruß!
Ihr
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt / M.A.