Eine Reise durch Deutschland 1936

Eine Reise durch Deutschland 1936

Im Laufe der Jahre habe ich Neuerscheinungen der Reihe "C.H.BECK textura" schätzen gelernt. Da werden ältere Texte (neu) aufgelegt - beispielsweise vor Jahrzehnten erschienene Zeitungsreportagen eines reisenden Journalisten.

Ein Beispiel für einen Titel der C.H. BECK textura Reihe:Die Reiseberichte von Joseph Roth aus den 1920ern.  Joseph Roth – einer meiner Lieblingsautoren. Kritisch, ironisch, und – wichtig – ein sehr guter Beobachter von Details und ein famoser Erzähler. Dazu teilweise kombiniert mit Trübsinn und Resignation (er hat sich später in Paris zu Tode gesoffen).

Roth beschreibt, dass Berlin in einem „grotesken Operetten-Ukrainertum“ schwelge, in welchem alles Ukrainische unkritisch positiv gesehen werde. Wohlgemerkt, in den 1920ern geschrieben.

Einschub: Hier meine Rezension von Joseph Roth: „Reisen in die Ukraine und nach Russland“.

Bei der aktuellen Neuerscheinung der genannten Reihe geht es ebenfalls um einen Reisebericht, diesmal aus den 1930ern.

Autor ist der US-amerikanische Soziologe, Journalist, Philosoph und Historiker (was für eine edle Kombination!) W.E.B. Du Bois (1868 - 1963).

Er studierte unter anderem 1892 bis 1894 in Berlin. Mit einem Schmunzeln nahm ich zur Kenntnis, dass damals das akademische Niveau in Berlin soviel höher war, dass Studienabschlüsse der späteren US-Eliteuni Harvard nicht anerkannt wurden.

W.E.B. Du Bois war nicht nur Bismarck-Bewunderer, sondern auch außerdem Afroamerikaner - was seine Reisen in den 1930ern im nationalsozialistischen Deutschland nochmal einen besonderen Aspekt gibt.

Inhaltsverzeichnis "Along the color line"

Es spricht gegen mich, dass ich zuvor noch nichts von W.E.B. Du Bois gelesen habe. Denn er schreibt intelligent, mit Witz, er weiß eine sehr gute Beobachtungsgabe zu vereinen mit dem Sinn dafür, eine gute Geschichte zu erzählen, um die Leser/innen zu unterhalten.

Der Untertitel "Eine Reise durch Deutschland 1936" trifft den Inhalt des Büchleins (gut 150 Seiten ohne Literaturverzeichnis) indes nur unvollkommen. Denn W.E.B. Du Bois schildert auch Auspekte seiner Reisen nach Belgien, Paris oder London.

Höchst faszinierend finde ich seine Eindrücke, die er durch seine Brille als afroamerikanisch geprägter Intellektueller schildert. Und ich bin immer wieder baff, wie unvoreingenommen und fair er Dinge beurteilt.

Da schildert er seine Eindrücke vom Besuch der "Siemensstadt" in Berlin unter soziologischen Gesichtspunkten - Stichwort deutsche Berufsschule, Ausbildung des Nachwuchses für die Industrie...

In Bayreuth geht er zu den Wagner-Festspielen und mokiert sich über prahlende (weiße) US-Amerikaner.

Das Deutsche Museum in München bewundert er offenbar, und seine Theorie über den guten Einfluss der bayrischen Brauhäuser auf das Wohlergehen des Volkes ließ meine Seele lächeln.

Gleichzeitig beweist er persönlichen Mut, wenn er beispielsweise bei einem Gespräch im deutschen Bildungsministerium zur Zeit des Nationalsozialismus offene Kritik an der "Rassenpolitik" des "Dritten Reichs" übt.

Er persönlich erlebt zwar keine/kaum Diskriminierung - aber als Afroamerikaner der 1930er hat er einen feinen Sinn für Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen einzelner Gruppen. Deshalb fällt ihm natürlich die Entrechtung der jüdischen Deutschen auf.

Positiv hervorheben möchte ich auch das lesenswerte Nachwort von Oliver Lubrich, das wertvolle Informationen zu W.E.B. Du Bois und zur Einordnung seines Lebens liefert.

Insgesamt eine klares Leseempfehlung meinerseits für historisch Interessierte:

W.E.B. Du Bois "Along the color line"

Eine kostenlose Leseprobe in Form einer PDF-Datei finden Sie bei Interesse unter diesem Link.

Angenehme Lektüre!

Ihr

Michael Vaupel

Diplom-Volkswirt / M.A.

Michael Vaupel

"Fairness, Respekt vor Mensch und Tier sowie der gewiefte Blick für clevere Investment-Chancen - das lässt sich meiner Ansicht nach sehr wohl vereinen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Ansicht gemeinsam vertreten werden - auch gegen den Mainstream."

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