Rezension: Katima
Zwei Dinge fragte ich mich neulich: Was meinte meine Frau mit der Antwort "nichts" auf die Frage, ob sie "etwas hat"? Und wie lebt es sich eigentlich als "Weiße/Weißer" im Norden Namibias im Allgemeinen und im Caprivi-Streifen - jetzt Sambesi-Region - im Besonderen?
Heute zur zweiten Frage.
Erfreulicherweise bin ich auf ein Buch zu der Thematik gestoßen. Denn die von mir sehr geschätzte namibische Autorin Sylvia Schlettwein verfasste ein Buch über ihre Kindheit in Katima Mulilo. Sie ging dort einige Jahre in die dortige Grundschule ("Katima Mulilo Laerskool"), während ihre Familie dort lebte.
Zunächst winkte ich innerlich ab, in der Annahme, es geht dort um harm- und arglose Kindheitserinnerungen der Art "ach wie lieb war doch unser Hund XY". Zum Glück machte ich mich doch an die Lektüre, wofür ich sehr dankbar bin. Denn gewiss, die Autorin war damals - wir reden hier von den 1980ern - ein Grundschulkind. Doch sie schafft es, ihre damaligen Kindheitserlebnisse und Eindrücke nachträglich reflektiert und gut lesbar zu schildern. In etwa so, als würde die Autorin von heute per Zeitreise in den Körper des Grundschulkindes schlüpfen, deren Gedanken wahrnehmen und dann später als erwachsene Autorin niederschreiben.
Auf diese Weise werden auch Erinnerungen z.B. an einen kleinen Elefanten zu einer rührenden Geschichte. Was ich sonst als "ja, ganz nett" abgetan hätte, führt so dazu, dass ich besagten kleinen Elefanten wirklich aus Sicht eines Grundschulkindes mitsehe und regelrecht mitfiebere, ob er wieder gesund wird und zur Familie zurückkehren kann.
Zum Lächeln brachte mich hingegen die Wahrnehmung der kindlichen Protagonistin im Hinblick auf die Besuche in den örtlichen Kneipen - Pardon, Pubs - mit ihren Eltern. Für sie war dabei ein Pacman-Automat ein Höhepunkt. Sie stellte fest, dass für die Erwachsenen zahlreiche Getränke und langen und kurzen Gläsern wichtiger waren.
Einige Male springt die Autorin zeitlich, was ich sehr passend finde, da so Gegensätze auffallen. Wenn sie beispielsweise in der Gegenwart in Windhoek beschreibt, wieso sie den Sambesi vermisst, dann wird klar, warum: Ihr kindliches Ich beschreibt anschaulich, wie die Geräuschkulisse aus Froschgequake und Trommeln von beiden Ufern gemischt mit dem Temperaturunterschied eine ganz besondere Stimmung erzeugten.
So ganz nebenbei fließen auch Themen wie der Grenzkrieg in den 1980ern mit in "Katima" hinein - aus kindlicher Sicht, wohlgemerkt. Da wundert sich die kindliche Autorin, wieso so viele Erwachsene in Uniform in der Stadt sind und sie gefragt wird, welchen Rang ihr Vater hat (er war allerdings als Zivilist vor Ort).
Interessant auch, dass die kindliche Erzählerin beschreibt, wie genervt sie war, dass sie - Auftrag ihrer Mutter - nach den Hausaufgaben auf Afrikaans und Englisch einige Sätze auf Deutsch schreiben musste, um ihre Muttersprache nicht zu verlernen. Damals nervte sie das und sie wäre gerne "nur Afrikaans" gewesen. Heute kann ich vollständig überzeugt sagen: Ein herzliches Dankeschön an die Mutter von Sylvia Schlettwein - sie hat mitgeholfen, dass wir uns an den Texen ihrer Tochter erfreuen können.
Einschränkend muss ich allerings hinzufügen, dass ich die bei der NWG erschienene englischsprachige Version von "Katima" gelesen habe, die brandaktuell erschienen ist. Es gibt auch eine deutschsprachige Version des Buchs beim deutschen Palmato Verlag.
Mit herzlichem Gruß!
Ihr
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt / M.A.