Interview zum Thema Moringa
Seit einiger Zeit nehme ich aufgrund gesundheitlicher Probleme "Moringa" als Nahrungsergänzungsmittel - in Form von Pulver (getrocknete Blätter des Moringa-Baums). Da ich dieses Pulver in Afrika einkaufe und es dort soweit ich weiß aus nachhaltigem Anbau in Mischkultur stammt, finde ich das eine prima Sache.
Ich würde auch durchaus gerne Moringa-Farmer werden, wenn der Tag mehr als 24 Stunden hätte.Was die Nährstoffe von Moringa betrifft, da bin ich froh, Dr. Harnisch an dieser Stelle zu Wort kommen zu lassen.
Der Moringa-Baum gilt nicht nur in seinen Herkunftsländern als Helfer in allen Lebenslagen. Woher stammt die „Wunderpflanze“ ursprünglich, und seit wann wird sie genutzt?
Dr. Harnisch: In den Veden, den alten Schriften der Hindukultur, wurde schon vor 5.000 Jahren über Moringa berichtet. Die Ayurvedalehre geht davon aus, dass man mit dieser Pflanze viele verschiedene Krankheiten heilen kann. Ursprünglich stammt der „Wunderbaum“ aus Indien. Dort wächst er bis heute vor allem am Fuße des Himalajagebirges. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Pflanze, wahrscheinlich durch seefahrende Händler, in fast allen tropischen und subtropischen Regionen über die Kontinente hinweg verbreitet. Seit einigen Jahren züchtet man Moringa sogar in Plantagen auf den Kanarischen Inseln.
Nahezu alle Teile des Moringa-Baumes können vom Menschen verwertet werden. Welche sind dies und zu welchen Zwecken werden sie eingesetzt?
Dr. Harnisch: Die Blätter verwendet man, frisch oder getrocknet, als Nahrungsmittel, das wegen seiner extrem hohen Vitalkraft geschätzt wird. Ähnliches gilt für die Früchte. Die Blüten setzt man als Gewürz und als Heilmittel ein. Die Samen werden gern gegessen, aber auch zur Herstellung von Öl und zur Wasserreinigung genutzt. Moringaöl – auch bekannt unter dem Namen Behenöl – war schon bei den Damen am Hofe der Pharaonen im alten Ägypten als Deodorant und Pflegemittel äußerst beliebt, denn es hält die Haut samtweich und geschmeidig. Aus dem antiken Griechenland sind ähnliche Praktiken überliefert. Die berühmten Schweizer Uhrmacher verwendeten Moringaöl für ihre Uhren, weil es praktisch korrosionsfrei ist, also kaum oxidiert. Selbst Rinde und Wurzeln dienen als Heilmittel bei einem ganzen Bündel von Erkrankungen, angefangen bei Erkältungen bis hin zu Rheuma. Die Pflanze bietet Tierfutter ebenso wie Biomasse für alternative Energieerzeugung – um nur einige der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten zu nennen.
„Moringa oleifera“ gilt als die nährstoffreichste Pflanze der Welt. Welche Inhaltsstoffe sind in ihr zu finden, und was ist das Besondere an deren Zusammensetzung?
Dr. Harnisch: Die ganze Pflanze ist ungewöhnlich reich an Vitaminen und Mineralstoffen. Sie enthält beispielsweise sechsmal so viel Vitamin C wie Orangen, viermal so viel Vitamin A wie Karotten und viermal so viel Vitamin E wie Weizenkeime. Bisher ist keine Pflanze mit einem höheren Chlorophyllgehalt bekannt. Außerdem enthält Moringa 18 von 20 lebenswichtigen Aminosäuren, die der Körper beispielsweise für Stoffwechselvorgänge, Konzentration und Gehirnfunktion braucht. Dazu kommt eine Fülle von Antioxidantien; diese benötigt der Organismus zur Krankheitsabwehr bei Infekten, die durch Viren oder Bakterien verursacht sind, vor allem aber dienen sie zur Vorbeugung und begleitenden Behandlung von Krebs. In der Zivilisationskost der westlichen Länder kommen Antioxidantien viel zu wenig vor. Der Körper kann all diese Vitalstoffe aus der Moringapflanze bestens verwerten, weil sie ihm in ihrer natürlichen Form und Zusammensetzung angeboten werden. Dies ist bei synthetischen Nahrungsergänzungsmitteln dagegen keineswegs der Fall; „künstliche“ Vitaminpillen schaden daher manchmal mehr, als sie nutzen.
Die Ayurveda-Lehre spricht davon, dass man mit Moringa mehr als 300 Krankheiten heilen kann; auch Hunderte von modernen wissenschaftlichen Untersuchungen befassen sich mit der Wirkung der verschiedenen Inhaltsstoffe. Bei welchen Beschwerden zum Beispiel kann damit Linderung oder Heilung erreicht werden?
Dr. Harnisch: Berichte aus verschiedenen Ländern liegen über erfolgreiche Behandlungen vor allem bei grippeähnlichen Virus-Erkrankungen, Herpes, Hirnhautentzündungen, Hepatitis, Herzmuskelentzündungen und bakteriellen Durchfallerkrankungen und Verdauungsstörungen vor. Moringa wirkt offenbar wie ein natürliches Antibiotikum; allerdings sollte das bei schweren Erkrankungen nicht den Gang zum Arzt ersetzen. Weitere Ergebnisse der internationalen Forschungen deuten auf günstige Wirkungen bei der Verhütung und dem Verlauf von Krebsleiden sowie bei Diabetes Typ 2 hin; außerdem gibt es berechtigte Hoffnung, dass Moringa auch bei Allergien, Hyperaktivität sowie Lern- und Konzentrationsstörungen helfen kann.
Inzwischen ist der Moringa-Baum auch außerhalb Indiens oder Afrikas anzutreffen. Was sollte man beachten, wenn man die Pflanze selbst züchten will?
Dr. Harnisch: Moringabäumchen kann man hierzulande in Kübeln oder großen Blumentöpfen aus Samen selbst züchten. Die Pflanze wächst schnell, im Monat bis zu 30 cm. Man kann schon nach wenigen Monaten die ersten Blätter ernten. Doch sie verträgt keinen Frost und sollte daher an einem hellen Ort in der Wohnung überwintern.
Sogenannte „Allheilmittel“ sind meistens zu Recht umstritten. Gibt es eigentlich auch gesundheitliche Risiken bei der Verwendung von Moringa, und welche sind dies?
Dr. Harnisch: Mit dem Genuss von Moringa sind, soweit bislang bekannt, keinerlei gesundheitlichen Risiken verbunden. Von der westlichen Schulmedizin her sind wir gewöhnt, dass ein Mittel gegen ein bestimmtes Krankheitssymptom hilft. Die traditionelle Medizin der östlichen Länder geht dagegen von einem stärker ganzheitlich orientierten Krankheitsbegriff aus. Krankheit ist nach dem Verständnis östlicher Heilkunst – insbesondere der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) – eine Störung im Fluss der Lebensenergie; gelingt es, solche Energiestörungen oder -blockaden zu beheben, so tritt Heilung ein. Die östliche Heilkunde kennt eine Reihe von „Panaceae“ (mit dem lateinischen Begriff Panacea wird ein Heilmittel bezeichnet, das bei einer ganzen Gruppe von unterschiedlichen Krankheiten sinnvoll einsetzbar ist). Zu diesen zählt neben Moringa beispielsweise auch Ginseng. Die Wirkung dieser Allheilmittel beruht vor allem auf ihrer Fähigkeit, die körpereigene Abwehrkraft zu stärken: Der Organismus kann sich mit ihrer Hilfe besser gegen Krankheitserreger zur Wehr setzen.
Obwohl Moringa seit Jahrtausenden als wertvolle Kulturpflanze bekannt ist, wird ihre Bedeutung hierzulande erst seit Kurzem wahrgenommen. Woran liegt das, und wie können Entwicklungs- und Industrieländer heute von ihr profitieren?
Dr. Harnisch: Europäer, die in den Tropen lebten, vor allem Forscher, haben den Wert von Moringa schon sehr früh erkannt. Nur setzte man in den westlichen Kulturen lange Zeit einseitig auf die heilende Wirkung von Chemie. Darüber gerieten Heilmittel aus der Natur fast vollständig in Vergessenheit. Erst jetzt, angesichts der vielfach zu beobachtenden, verhängnisvollen Nebenwirkungen, besinnen sich die Menschen bei uns wieder auf altbewährte Volksheilmittel aus der Natur: ein Trend, der sich überall in den westlichen Ländern abzeichnet. Die Industrieländer profitieren von Moringa, weil sie damit ihren trotz Nahrungsüberangebot bestehenden Mangel an lebenswichtigen Vitalstoffen beheben können. Für die Entwicklungsländer stellt Moringa ein hochwertiges Nahrungs- und Heilmittel dar, das selbst unter schwierigsten klimatischen Bedingungen verfügbar ist und den Menschen darüber hinaus zu sauberem Trinkwasser verhelfen kann.
Das Interview ist bereits etwas älter (Dezember 2014), sollte aber immer noch aktuell sein. Dr. Günter Harnisch ist der Autor des von mir empfohlenen Kompakt-Ratgebers Moringa olifeira