Jugend und Fundamentalismus

Jugend und Fundamentalismus

Gastbeitrag von Bill Bonner (übersetzt von Michael Vaupel)

„Demographie ist Schicksal.“

Auguste Comte

Frühe klassische Ökonomen wie Smith, Ricardo, Malthus, Mill, Marshall und andere waren sehr interessiert an der Rolle, die junge und alte Menschen im Hinblick auf die Schaffung von Wohlstand spielten. Da sie in einer Zeit lebten, in der hohe Geburtenraten zu verzeichnen waren und sich die Bevölkerungszahlen erhöhten, wollten sie festlegen, wie sich demographisches Wachstum auf Löhne, Ersparnisse und Ausgaben auswirkte; welche Bevölkerungsschichten davon profitierten und ob eine größere Bevölkerung lang anhaltend positiv sei.

Zwei Jahrhunderte später warnte Peter Peterson in seinem Buch „Gray Dawn“, dass wir vielleicht eine andere Frage stellen sollten: Was passiert mit dem Wohlstand einer Nation, wenn eine Bevölkerung alt wird und zu schrumpfen beginnt? In diesem Kapitel untersuchen wir die Auswirkungen demographischer Verschiebungen, nicht weil dieser Aspekt gerade besonders in Mode wäre, sondern weil es einer ist, der leicht vernachlässigt wird.

Erfolg

Große demographische Verschiebungen

In seinem Buch „Revolution and Rebellion in the Early World“ behauptet der Historiker Jack Andrew Goldstone, dass die großen Revolutionen Europas, respektive die Französische und die Englische Revolution, eins gemeinsam hatten mit den großen Rebellionen Asiens, die das Osmanische Reich und die Japanischen und Chinesischen Dynastien zerstörten. All diese Krisen brachen auf, als unflexible politische, ökonomische und soziale Institutionen sich mit den zwei Faktoren von Bevölkerungswachstum und Verringerung der zur Verfügung stehenden Ressourcen konfrontiert sahen.

In ganz Europa begannen die Bevölkerungszahlen ab dem Frühen 18. Jahrhundert zu steigen, als die hohen Todesraten, verursacht durch Seuchen, wie z. B. die Pest, und Hungertod zurückgingen, und gleichzeitig die Geburtenraten hoch blieben. Ein großer Anstieg der Geburtenraten gegenüber der Mortalität während großer Teile der Frühen Neuzeit zog einen Babyboom nach sich. Nach Demograph Michael Anderson verdoppelte sich die Bevölkerung Europas in den hundert Jahren zwischen 1750 und 1850. Das „Zeitalter der demokratischen Revolution“ des späten 18. Jahrhunderts, einschließlich der Französischen Revolution,  verlief parallel zu einem Anstieg der jungen Bevölkerung.

Eine große, undisziplinierte und junge ländliche Bevölkerungsschicht war ein Hauptgrund sozialer Unruhen in Frankreich vor und während der Revolution. Die Bevölkerung Frankreichs wuchs im 18. Jahrhundert von acht auf zehn Millionen. Im Gegensatz dazu war die Bevölkerung im vorangegangenen Jahrhundert nur um eine Million angewachsen. Um 1772 begann Abbé Terray mit einer ersten seriösen demographischen Erhebung für Frankreich. Sein Ergebnis war eine Bevölkerungszahl von 26 Millionen.

Von Louis XVI. wird angenommen, dass er 1789, am Vorabend der Französischen Revolution, fast 30 Millionen Menschen zu seinem Reich zählte, mehr als 20% der Gesamtbevölkerung des nichtrussischen Europas. Diese Zahlen, dies legt eine Studie der George Mason Universität nahe, mussten zu mancherlei Folgen führen. Entsprechend veränderten sie Frankreich in politischer und ökonomischer Hinsicht, und, wie wir vielleicht anmerken dürfen, kosteten sie Louis XVI. sein Reich … und seinen Kopf.

Genauso verdoppelte sich die russische Bevölkerungszahl zwischen den 1850ern und dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Von 1855 bis 1913 stieg die Bevölkerung des russischen Reiches von 73 auf ca. 168 Millionen an. Der Druck, für diese große Bevölkerung genug Nahrung und Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, war für die existierende Regierung zu groß. Das größte Problem auf dem Land war der Mangel an Boden. Ein schnelles Anwachsen der Bevölkerung führte zu einer Verkleinerung der Parzellen von durchschnittlich fünf Hektar 1861 auf unter 3 Hektar um 1900.

Frage des Respekts

Nach dem Ersten Weltkrieg

Im Westen saugte die Industrie die anwachsende Bevölkerung auf, aber Russland konnte nur ein Drittel seiner neuen Bevölkerung in diesem Zweig einsetzen. Die Vermutung nahm zu, dass - wenn nicht irgendetwas getan würde - die Landbevölkerung sehr bald explodieren würde. Die Bauern hatten eine einfache Lösung für ihre Probleme: das Konfiszieren aller Ländereien, die sich in privater Hand der Grundbesitzer befanden.

In seinem Vortrag auf der europäischen Bevölkerungskonferenz 2001 wies der russische Historikers Lev Protasov darauf hin, dass vor der Französischen Revolution demographische Faktoren in Bezug auf die Mobilisierung der Massen eine große Rolle spielten. Merkwürdigerweise wurde eine beachtliche Zahl der Radikalen, die bei der Durchsetzung der Revolution mithalfen, 1880 geboren. „Die 1880er Generation“, so Protasov, „bildete fast 60% der Radikalen und dominierte die linken Fraktionen: 62% der Sozial-Revolutionäre, 58% der Bolschewiken, 63% der `nationalen´ Sozialisten und 47% der Menschewiken. Mit Sicherheit wurde das kraftvolle Vorzeigen junger Radikaler im frühen 20. Jahrhundert von Historikern wahrgenommen.“

In ländlichen Gegenden verließen Bauern die Dörfer, die Kinder ausspuckten wie die Kerne von Wassermelonen. Die Säuglings- und Kindersterblichkeit sank dank einer verbesserten Gesundheitsversorgung, besserer Ernährung und Hygiene. Protasov folgerte „Die russischen politischen Umstände von 1905 und 1917 wurden nicht nur durch wirtschaftliche und politische Umstände vorbereitet, sondern durch die Natur, die ihren eigenen Regeln folgte. Die demographischen Ausbrüche der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ließen nicht nur Modernisierungsprobleme hervortreten, sondern beschleunigten die Marginalisierung der Gesellschaft und stellten reichliches `Humankapital´ für die ersten zukünftigen Revolutionäre bereit.“

Bevölkerungsexplosionen haben Schwierigkeiten verursacht. Aber heutzutage fallen die Bevölkerungszahlen. Der Effekt könnte ähnlich verheerend sein: Da alle Industrienationen von Steuern abhängen, die von jungen Erwerbstätigen gezahlt werden, um ältere, verrentete Bevölkerungsschichten zu unterhalten, wird eine zurückgehende und alternde Bevölkerung genau dann auftreten, wenn die westlichen Gesellschaften mehr junge Menschen am meisten benötigen.

Das Altern des Westens

Am 12. Oktober 1999 sah die Welt die Geburt des sechs Milliardsten Bürger.

Seit den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, mit dem Erscheinen von Paul Ehrlichs „Population Bomb“, wurde der größte Teil der Welt von einer neo-malthusianischen Angst vor Überbevölkerung ergriffen. Doch noch in den vergangenen Jahren, dank Büchern wie Gray Dawn und Agequake, veränderte sich das Bild. Inzwischen gehen die meisten Industrienationen der Überalterung entgegen. Wenigstens die Hälfte aller Menschen, die das 65. Lebensjahr erreichten, leben noch.

Für die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte betrug der Anteil der Bevölkerung über 65 um die 2 oder 3%. Als Hammurabi, Julius Caesar oder sogar Thomas Jefferson noch lebten, gab es laut Peterson nur eine sehr geringe Chance, eine Person zu treffen, die 65 oder älter war (eine von 40). Heutzutage steht die Chance eins zu sieben und in einigen Jahrzehnten wird sie auf eins zu vier gestiegen sein, oder im Extremfall (wie etwa in Italien) auf eins zu drei. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird die Zahl der mindestens 65jährigen in den Industrienationen bis 2030 auf 89 Millionen angewachsen sein, wohingegen die Zahl derjenigen im erwerbsfähigen Alter auf 34 Millionen gesunken sein wird.

1960 kamen noch fast sieben Erwerbstätige auf jeden über 65jährigen. 2000 fiel diese Zahl auf 4,5. Für 2030 erwartet die OECD nur noch 2,5 Erwerbstätige für jeden Älteren in den Industrienationen.

Zusätzlich zur demographischen Verschiebung gehen die Menschen in den Industrienationen früher in Rente; folglich schmilzt der Topf der Steuerzahler, der die Pensionäre unterstützt, rapide. In den hoch entwickelten westeuropäischen Sozialstaaten ist der Rückgang auffallend. In Frankreich, Deutschland und Italien arbeiten weniger als fünf von hundert Männern über 65. Für 2050 prognostiziert die IMF, dass in jedem dieser Länder nur noch ein Steuerzahler (oder im Falle Italiens sogar noch weniger) einen Pensionär unterstützen wird.

Dr. Gary North denkt, dass wir in einem „Paradies der Idioten“ leben. Alle Bürger westlicher, demokratischer Industrienationen, Japan eingeschlossen, haben eine „es wird gezahlt, wenn du gehst“–Absicherung für ihr vom Staat garantiertes Renten- und Gesundheitsversicherungssystem. Doch jede westliche Nation hat eine Geburtenrate von weniger als 2,1 Kindern pro Familie. Die Rechnung ist einfach. Die Zahl der Erwerbstätigen, die in die Wirtschaft kommen, reicht nicht aus, um das Rentensystem zu tragen.

Im Kampf zwischen Mythos und Realität begrüßte die Mehrheit den Mythos, dass alle auf Kosten der anderen früh in den Ruhestand gehen könnten. Wie in einem Schneeball-System oder einem künstlich aufgeblasenen Markt machten die ersten, die in das System kommen, einen schönen Gewinn. Sie zahlten unbedeutende Summen ein, lebten länger als erwartet und holten mehr heraus, als ihnen zustand. Leute, die später in das System eintraten, fanden es sehr viel schwieriger, damit klar zu kommen. Mit einer Erhöhung der Lebenserwartung und einem Absinken des Rentenalters wird die finanzielle Bürde, die auf dem Rücken der Erwerbstätigen weltweit ausgetragen wird, vielleicht unerträglich.

Jugend und Fundamentalismus

Eine der Schwierigkeiten einer sinkenden Bevölkerung im Westen ist politischer Natur. Der Kampf gegen den Terrorismus, der am 13. September 2001 verkündet wurde, verspricht teuer zu werden. Aus dem einfachen Grunde, dass es so viele potenzielle Terroristen gibt, gegen die es zu kämpfen gilt. Die Menschen der westlichen Welt bilden eine schwindende Minderheit bezogen auf die globale Gesamtpopulation: 1900 bildeten sie noch 30% der Menschheit; 1993 fiel diese Zahl auf 13% und nach aktuellen Erhebungen wird für 2025 ein weiteres Absinken auf 10% erwartet. Im selben Zeitraum wachsen in der muslimischen Welt die Bevölkerungszahlen und die Bevölkerung wird jünger.

Tatsächlich hat der Anteil der muslimischen Bevölkerung an der Weltbevölkerung im 20. Jahrhundert stark zugenommen. Dieser Trend wird weiterlaufen, bis sich das Verhältnis von westlicher zu muslimischer Bevölkerung im Verhältnis zum Jahr 1900 umgekehrt hat. 1980 bildeten die Muslime 18% der Weltbevölkerung, 2002 über 20% und für 2025 wird ein Anteil von 30% an der gesamten Weltbevölkerung erwartet.

In seinem Buch „Clash of Civilizations“ geht Samuel Huntington davon aus, dass diese demographischen Entwicklungen der Hauptgrund für das erneute Aufleben des Islam im späten 20. Jahrhundert gewesen sind. „Der Bevölkerungszuwachs in muslimischen Ländern“, so der Autor, „und besonders das Anwachsen der Gruppe von fünfzehn bis vierundzwanzig Jährigen, bietet Rekrutierungsmöglichkeiten für den Fundamentalismus, Terrorismus, Rebellion und Migration (…) der Bevölkerungszuwachs bedroht muslimische Regierungen und nicht-muslimische Gesellschaften.“

Das Wiederaufleben des fundamentalistischen Islams begann in den 1970er und 1980er Jahren, als die Bevölkerungsgruppe der 15- bis 24jährigen in den muslimischen Ländern stark zunahm. Tatsächlich wuchs in diesen Jahrzehnten der Anteil dieser Altersgruppe in manchen muslimischen Ländern auf über 20% an. Die muslimische Jugend ist ein potenzieller Nachschub an Mitgliedern für islamistische Organisationen und politische Vereinigungen. Die Revolution im Iran von 1979 fiel z. B. mit einem gleichzeitigen Höchststand der jungen iranischen Bevölkerung zusammen.

„Für die nächsten Jahre werden muslimische Bevölkerungen überdurchschnittlich junge Bevölkerungen sein“, erklärt Huntington, „mit einem hohen Anteil an Teenagern und Leuten in den Zwanzigern.“ Wie gehen wir damit um?

Huntington weist darauf hin, dass die am besten zu vergleichende Analogie in westlichen Gesellschaften im Hinblick auf diesen hohen Anteil junger Bevölkerung die Zeit der Reformation ist.

Ironischerweise, so Huntington, kamen beide Phänomene - sowohl der Aufschwung fundamentalistischer Bewegungen in der muslimischen Welt als auch die Reformation - als Reaktion auf Untergang und Korruption bestehender Institutionen auf. Beide Bewegungen befürworteten eine „Rückkehr zu einer reineren und anspruchsvolleren Form ihrer Religion; Predigt, Ordnung und Disziplin, und wirkten auf eine aufstrebende, dynamische Mittelklasse.“ Beide Bewegungen forderten sowohl die politischen als auch die ökonomischen Ordnungen ihrer Zeit heraus; und wo in muslimischen Staaten die politische Ordnung bedroht wird, scheinen größere westliche Ausgaben zur Verteidigung solcher absterbenden politischen Ordnungen nicht angemessen zu sein.

„Die Reformation“ schreibt Huntington, „ist ein Beispiel für eine herausragende historische Jugendbewegung“. Indem er Jack Goldstone zitiert, fährt Huntington fort: „Eine beachtliche Erhöhung der jugendlichen Bevölkerung im Westen fällt mit dem Zeitalter der demokratischen Revolutionen in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts zusammen. Im 19. Jahrhundert reduzierten eine erfolgreiche Industrialisierung und Emigrationsbewegungen die politische Wirkung junger Bevölkerungsschichten in den europäischen Gesellschaften. Der Anteil Jugendlicher wuchs in den 1920ern wieder an und mit diesem wurden Rekruten faschistischer und anderer extremer Bewegungen bereitgestellt. Vier Jahrzehnte später hinterließ die Generation des Babybooms nach dem Zweiten Weltkrieg seine Spuren in den Demonstrationen der 1960er.

Vorausgesetzt, junge Menschen üben normalerweise einen aufrührerischen und revolutionären Einfluss auf Gesellschaften aus: Was passiert, wenn diese Leute alt werden? Das genaue Gegenteil.

Ängstlichkeit und der Verlust von Begierde begleiten normalerweise das Älterwerden. Ältere Menschen tendieren dazu, nicht so viele Dinge zu wollen wie junge Menschen. Sie verlieren das Verlangen, Freunde, Verwandte und Partner zu beeindrucken. Anstatt Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, neigen sie dazu, ängstlich zu werden, nicht das zu bekommen, was sie brauchen. Das ist nicht weiter sonderbar; das ist der natürliche Weg, zu erkennen, dass die eigenen Möglichkeiten begrenzter geworden sind.

Ein Mann in seinen Vierzigern kann noch einmal neu starten, aber in seinen späten Sechzigern hat er keine Energie und auch kein Verlangen mehr dazu. Stattdessen beginnt er, alles zu sammeln – Alufolie, Geld, Lumpen – aus Angst, dass er diese nicht bekommt, wenn er sie wirklich braucht. Ein älterer Mensch neigt dazu, sich so zu verhalten. Aber wie sieht eine alternde Bevölkerung genau aus? Wieder müssen wir nur einen Blick über den Ozean wagen – nach Japan.

Die untergehende Sonne und der Einfluss der Alten

 Japan ist der Fall eines „Frühwarntests“, weil es bereits begonnen hat, sehr schnell zu überaltern.

In den frühen 1980ern war Japan noch die jüngste Gesellschaft der Industrienationen. Aber 2005 wird es die älteste sein. In Japan kommen auf jeden Knirps unter 15 mehrere alte Menschen (gemeint sind hierbei solche über 64). Die globalen Märkte haben sich bereits auf diesen Trend eingestellt. Sie untersuchen gerade Japan, um herauszufinden, was mit Konsumenten passiert, wenn sie altern. Absteigende japanische Industrien sind solche für Kindergesundheit, Spielzeug und Bildung; wohingegen die Zweige Krankenpflege, Kreuzfahrten, Haustiere und religiöse Ikonen boomen.

Japanische Zeitungen warnen vor abstürzenden Geburtenraten und demographischen Katastrophen. Um das Jahr 2010 wird das japanische Abhängigkeitsverhältnis alter Menschen (die Zahl Erwerbstätiger Erwachsener im Bezug auf Alte) das Erste unter den Industrienationen sein, das unter drei fällt. Der Anteil der Kinder unter 15 liegt in Japan momentan nur bei 14,3%. Dies zeigt, dass die Bevölkerung 2050 von 127 Millionen auf 100 Millionen sinken wird. Dies ist keine Spekulation, sondern Hochrechnung, da die Daten auf momentanen Trends basieren. Warum sind diese Trends so ungewöhnlich - verglichen mit anderen Ländern der Welt?

Japan erfuhr - anders als die USA und Europa - nach dem Zweiten Weltkrieg einen größeren Geburtenrückgang und keinen Babyboom. In den frühen 1960ern sank die Geburtenrate verglichen mit den vorangegangenen zwei Jahrzehnten auf die Hälfte. Die Zahl der unverheirateten japanischen Frauen zwischen 25 und 29 hat sich seit 1950 verdoppelt, und nicht überraschend ist die Geburtenrate weiter gesunken.

Japans Einwohner leben zudem länger als die anderer Nationen. 1998 wurde Japan das erste Land, indem die Lebenserwartung auf 80 Jahre stieg. 1950 konnte ein Japaner, der das 65. Lebensjahr erreichte, davon ausgehen, dass er noch durchschnittlich weitere zwölf Jahre leben würde. Heutzutage kann er davon ausgehen, noch weitere 19 Jahre zu leben! Und wenn er Achtzig wird? Dann sind die Chancen gut, dass er noch seinen 89. Geburtstag feiern wird.

2015 werden ganze 25% der Bevölkerung 65 oder älter sein. 2050 werden mehr als 42% der japanischen Bevölkerung 60 Jahre alt oder sogar älter sein, mit weiteren 15% über 80. Aufgrund dieser Zahlen, witzelte der Vorsitzende der Toyota Motor Corporation, Dr. Shoichiro Toyoda, werde das japanische Volk in nur 800 Jahren ausgestorben sein. In einer Untersuchung des Gesundheits- und Sozialministeriums wird davon ausgegangen, dass „wenn sie es wagen, Berechnungen anzustellen, Japans Bevölkerung im Jahr 3000 ungefähr 500 Leute und im Jahr 3500 eine Person betragen wird.“

Was sind die Auswirkungen solcher Überalterungsprozesse? Beim Auswerten der Daten eines Reportes des U.S. Census Bureaus bemerkte der Analyst Ya-Gui Wei das Offensichtliche: „Für jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft, egal welche Kriterien man anwendet, gilt, dass seine Fähigkeiten mit dem Heranwachsen ansteigen, um in einem bestimmten Alter auf ihrem Höhepunkt anzukommen und schließlich im Alter wieder abzunehmen.“

Dieses trifft immer zu, egal ob man ihre Stärke, sexuelle Kraft oder ihre Fähigkeit, Geld zu verdienen misst.

Im Herbst 2002 veröffentlichte die Cowles Foundation for Research in Economics der Yale Universität eine Studie, die demographische Entwicklungen mit Investitionsverhalten verglich. Die Ergebnisse bestätigten Weis Schlussfolgerungen: Alte Menschen bereiten sich auf ihr Lebensende vor, geben nicht mehr so viel Geld aus, begleichen ihre Schulden und sparen. Wenn Menschen sich dem Rentenalter entgegen bewegen, sparen sie für ihre Rente und verkaufen ihre Aktien. Dieses Verhalten führte auf direktem Wege zum Zusammenbruch des Nikkei im Jahre 1989 und hat unzweifelhaft in den letzten zwölf Jahren den Konjunkturrückgang in der japanischen Wirtschaft verschlimmert.

Japan BRIC Staaten

Japans Konsumentengesellschaft wuchs in den 1970ern; zu einem Zeitpunkt, als die meisten Konsumenten ihre Lebensmitte gerade erreichten. Japans Wirtschaft verzeichnete ein absolutes Konsumentenplus in der zweiten Hälfte der Achtziger, zu einer Zeit, als der größte Teil der Bevölkerung sich gerade im Alter zwischen 45 und 54 Jahren befand. Die große Pleite folgte ziemlich schnell… gerade als sich Mr. und Mrs. Yokohama auf den Ruhestand vorbereiteten. Während der Spekulationsblase am japanischen Aktienmarkt stiegen die Kurse um über 1.000% an. Aber am Ende des Jahrzehnts kollabierte der Markt – er verlor zwei Drittel seines Wertes.

„Während der 1990er war der Kern des japanischen Problems das Fehlen von Investitionsmöglichkeiten, um den Fluss von Ersparnissen zu bewältigen“, so Paul Wallace. „Die Japaner haben ungeheuerlich für ihren Ruhestand gespart. Aber aufgrund zurückliegender Geburtenrückgänge beginnt die Zahl der Erwerbstätigen nun abzunehmen. Das heißt, dass es weniger Investitionsmöglichkeiten gibt, da es auch weniger Leute gibt, die mit Kapital ausgestattet sind.“ Die Demographie war ein Hauptproblem der japanischen jüngsten ökonomischen Krise in den 1990ern.

Der japanische Babyboom begann in den 1940ern und endete in den 1950ern. Fünfundvierzig Jahre später kollabierte der japanische Markt. Seitdem wurden Aktienmärkte und Wirtschaft in Japan geschwächt, weil die Nachkommen des japanischen Babybooms ihr Geld für den Ruhestand sparen. Diese demographischen Strukturen stimmen stark mit dem Boom und Rückgang in den späten 1990ern in den USA überein. Während der Babyboom in Japan 1950 beendet war, ging er in den USA erst richtig los: In den fünf Jahren zwischen 1955 und 1960 gab es in de USA die Geburtenhöchstrate – zehn Jahre später als der japanische Höchststand.

Japan

Alte Leute zu Hause

Die Bürger der Vereinigten Staaten altern ebenfalls und leben länger. Um 2040, so erwartet es das Census Büro, wird die Zahl der zwischen 65 und 74 Jährigen um 80% ansteigen und die Gruppe der über 80jährigen auf 240% hochschnellen. Um 1900, so Peter Peterson, betrug die Zahl der U.S. Bürger, die über 85 waren, nur 374.000. 2000 betrug diese Zahl fast vier Millionen und 2040 wird sie auf 13 Millionen angewachsen sein (die Autoren dieses Buches hoffen, dann zu dieser Gruppe zu gehören). 2040, so wird erwartet, wird sich die Zahl der Amerikaner, die älter als 80 sind, verdreifacht haben – die Zahl der Schulkinder wird damit in den Schatten gestellt.

Ya-Gui Wei bemerkte, dass das Durchschnittseinkommen in der Gruppe der 45 bis 54jährigen am höchsten ist, gefolgt von der der 35 bis 44jährigen. „Wenn Sie der Durchschnittsbürger sind“, so Wei, „wird ihr Einkommen vor dem 46. Lebensjahr stetig ansteigen. Während dieser Zeit werden Sie auch an ihren Ruhestand denken und mehr und mehr zur Verfügung stehendes Kapital haben, das sie in Renten- und Sparfonds anlegen können. Nach dem 46. Lebensjahr wird ihr Einkommen wahrscheinlich zurückgehen, wie auch der Betrag, den sie zum Sparen zur Verfügung haben werden.“

Wenn im Alter von 46 Jahren der Höhepunkt in der Kauf und Investitionsbereitschaft eines Individuums erreicht ist, wovon Harry Dent ausgeht, dann war das Jahr 2000 für den Markt sehr gut vorausgesagt. Dent dachte, wir würden bis 2008 einen Boom erleben, aber diese Rechnung geht nicht auf. 1954 waren wir gerade erst auf dem halben Weg des Babybooms, 1954 + 46 = 2000, das Jahr in dem der U.S. Aktienmarkt auf dem Höchststand war. Wenn ein „Babyboomer“ in ein Alter zwischen 55 bis 59 Jahren kommt, wird er - wenn er wie seine Nachbarn ist - anfangen, seine Aktien zu verkaufen, die er eigentlich zur Absicherung seiner Rente gekauft hatte. Er wird ein bisschen weniger ausgeben … und ein bisschen mehr sparen.

Die Erfahrungen aus Japan zeigen, dass eine demographische Verschiebung von Jung zu Alt in den westlichen Industrienationen einer Herausforderung für die bestehenden politischen und ökonomischen Strukturen gleichkommt, so wie jede Jugendrevolution in der Vergangenheit auch. Stellen Sie sich vor: Millionen von Menschen bereiten sich auf ihre Pensionierung vor. Sie leihen sich nicht länger Geld, um sich ein größeres Haus zu kaufen. Sie kaufen nicht länger größere Autos für Familienurlaube. Sie haben alle zeitsparenden Vorrichtungen und Haushaltsgeräte, die sie brauchen. Und sie kaufen nicht länger Aktien, um diese langfristig anzulegen.

Diese Art von Aktien kauften sie 10 oder 15 Jahre vorher: Inzwischen ist dieser Boom vorüber.

Trendsetter

78 Millionen Amerikaner wurden zwischen 1946 und 1964 geboren – der größte Geburtenboom in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Die Babyboom-Generation war die größte, die es jemals gab. Seit Mitte der Achtziger stellt sie ein volles Drittel der Bevölkerung. Beginnend mit 1.2 Milliarden Dosen Babynahrung, die 1953 verkauft wurden, und mit 150 Millionen ausgegebenen Kreditkarten die 2002 folgten, haben diese „Babyboomer“ (kurz: „Boomer“) Spuren hinterlassen.

Viel ist geschrieben worden über Größe und Einfluss der Babyboom-Generation. Wir möchten folgenden Gesichtspunkt hinzufügen: Die Geschichte der Massen wird in den USA derzeit keine größere zusammenhängende Gruppe finden, als die Gruppe dieser 79 Millionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden. Niemals zuvor ist in Nordamerika eine so große Gruppe zusammen aufgewachsen. Dank moderner Kommunikationsmittel – besonders wichtig hierbei das Fernsehen – waren die Boomer in der Lage, von Küste zu Küste in Kontakt zu bleiben. Sie sahen sich gegenseitig im Mickey Mouse Club, in Leave It to Beaver oder in Dick Clark`s American Bandstand. Stunden um Stunden Fernsehen zeigte ihnen nicht nur, wie man tanzt, sondern auch, welche Musik man hören sollte, wie man sich kleiden, reden und denken sollte. Die Welt hatte so etwas bisher noch nicht gesehen.

Es wurde alltäglich, zu zeigen, wie diese große Masse von Menschen die amerikanische Gesellschaft durchdrang und veränderte. Was allerdings nie genug wahrgenommen wurde, ist der Riesenumfang, in welchem die Boomer – anders als jede andere Gruppe in der Geschichte der Menschheit zuvor – zum Thema des Massenwahnsinns wurden. Die Boomer nahmen jede neue Idee auf und verblödeten diese ... vervielfältigten diese … machten sie vulgär … und nahmen sie auf, wie ihren liebsten Popsong.

Revolutionär in ihrer Jugend, wurden sie in ihrer Lebensmitte bourgeois. Dann trugen sie ihr ungeheures Kapital in den Aktienmarkt und schufen damit einen ungeheuren Boom. Um den Leser einen schnellen Eindruck zu geben, um was es heute geht: Die Boomer verursachen momentan einen ungeheure Pleite.

„Ich bin ein Student! Nicht falten, zwirbeln oder verstümmeln!“ so zu lesen auf einem Transparent vor der Berkeley Sproul Hall 1964, schreiben William Strauss und Neil Hall in ihrem Buch „The Fourth Turning“. Viele der damaligen Demonstranten arbeiteten ein paar Jahrzehnte später in Firmen im Silicon Valley und verhöhnten schon die „Computerkarten“-Behandlung, die sie angeblich an der Universität erfahren hatten.

Goethe

Wo Allen Ginsberg und die Beatniks der vorangegangenen Generation ihren Protest in friedlichen Lesungen zum Ausdruck brachten, trugen die Boomer ihre Botschaft auf die Straßen. Was genau ihre Botschaft war und mit wem sie sie teilten, war nie so ganz klar, am wenigsten den Boomern selbst. „Boomer Hippies brüllten ihre `nichtverhandelbaren Forderungen´ durch Megaphone, ohne sich darum zu kümmern, wer zuhörte“, sagen Strauss und Hall. „Schaltet euch ein, steigt aus“ riefen sie in Sprechchören.

Eine gut laufende Wirtschaft in den 1960ern stellte Jobs bereit, für alle, die sie wollten; die Gefahr, übergangen zu werden, war gleich Null. „Die meisten Campus-Randalierer“, so Strauss und Hall, „nahmen an, dass sie sich in dem Moment, indem sie sich herablassen würden, wieder in die american dream machine eingliedern würden können. Das Planen der Zukunft war keine große Sache.“ Ein bekannter Song aus der Zeit drängte die Boomer zu „la, la, la live for today. Don`t worry about tomorrow…“ Mit langem Haar, zerrissenen T-Shirts und zerschlissenen Jeans konfrontierte die aufkommende Boomergeneration ganz bewusst die wohlgeordnete Gesellschaft der Herren in den grauen Anzügen. Im Film „The Graduate“, der 1967 einen Academy Award bekam, macht Katharine Ross eine steile Karriere und hörte plötzlich eine innere Stimme, die „Halt!“ rief. Die Boomer hielten für eine Weile inne.

Die Boomer protestierten gegen den Vietnamkrieg aus moralischen Gründen … bis die Einberufung abgeschafft wurde. Viele bevorzugten statt Geduld den sofortigen Genuss und drückten Wut und Verdrießlichkeit aus, wenn sie nicht bekamen, was sie wollten. Auf was auch immer sie trafen, Sex, Drogen oder Rock`n Roll, sie dachten, dass sie es erfunden hätten.

Ein älterer Senator beschrieb die Boomer als gegen alles eingestellt, unmöglich sie zufrieden zu stellen, keine Unterschiede kennend und unfähig zum Kompromiss. Sie priesen Perfektion aber sahen diese niemals, außer bei sich selbst. Für den Demographen William Dunn war Präsident Clinton symptomatisch hierfür: „Ein bisschen selbstgefällig und ziemlich davon überzeugt, dass er und seine Generation smarter als alle anderen seien.“

Aber innerhalb eines Jahrzehnts wurde die Möglichkeit der Boomer, sich in ihre Traumwelt zurückzuziehen, erstmals in ihrem Leben in Frage gestellt; als sich in den 1970ern sich der erste Bärenmarkt seit dem Zusammenbruch 1929 offenbarte.

Das arabische Ölembargo 1973 traf die Wirtschaft hart und verursachte eine Rezession, die es Jobeinsteigern schwer machte. „Mit der Verschlechterung der Wirtschaftssituation“, schrieben Straus und Hall, „fanden viele Boomer neue Gründe, warum Geldverdienen unter ihrem Niveau war. `Ich habe keine Pläne gemacht, weil ich keine fand, die es wert gewesen wären´, erklärte ein Universitäts-Abschiedsredner unter dem Beifall seiner Kommilitonen.“ In der Tat, „da war wenig zu machen“, sagte der Musikproduzent Bill Graham mit Blick auf die jungen Radikalen seiner Generation. Sie forderten dem Wortlaut nach eine Revolution, aber wenn es dann wirklich darauf ankam, etwas zu unternehmen, dann rief der durchschnittliche Boomer: „Ihr wisst doch, dass ihr da nicht auf mich zählen könnt.“             

Der Aufstieg der Konsumgesellschaft

Mit den 1980ern kamen das Familienleben, der mittlere Lebensabschnitt und ein Verlangen nach materiellen Dingen, denen sie bisher abgeschworen hatten. „Es war an der Zeit“, erinnert sich Todd Gitlin, „um geradeheraus vom Marihuana zum Weißwein und von den hippen Kommunen zu den Sommern in Cape Cod zu gelangen.“ Snoopy und Woodstock flehten die Boomer an: Get Met, It Pays!“ Die Boomergeneration „konnte nicht ewig in einem animierten Schwebezustand verharren“, so Strauss und Hall. Kurz, die Boomer begannen, massiv nach Konsum und Karriere zu streben.

Am 25. März 1984 erklärte die New York Times jenes Jahr zum „Jahr des Yuppies.“ Die Yuppies (Young Urban Professionals) fingen an zu heiraten und bekamen Kinder. Das wurde richtig hip. „Verschobene Freuden waren ganz plötzlich in Mode“, bemerkte das Wall Street Journal Mitte des Jahrzehnts.

Es gab da aber ein Problem. Die Generation, die es bisher vermocht hatte, durch ihre schiere Anzahl alles in ihrem Sinne zu bekommen, hatte auf einmal einige Faktoren gegen sich. In den 1980ern drückten die vielen Boomer, die auf den Arbeitsmarkt strömten, die Gehälter nach unten. „Amerika wurde überschwemmt von Moden, Diäten und Witzen über Perrier trinkende Verräter, die beschäftigt waren mit Dingen, die Newsweek als `transzendentale Übernahmen´ beschrieb.“ Doch es war das erste Mal in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte, dass es einer Generation nicht gelang, den Lebensstandard ihrer Eltern zu erreichen – geschweige denn, ihn zu übertreffen.

In den 1980ern waren die Boomer nun in ihrer mittleren Lebensphase und sollten eigentlich Ersparnisse für ihre Pensionierung anlegen. Stattdessen häuften sie aber zunehmend Schulden an. Betrachtet man das Bild ihrer Realeinkommen, so erwies sich die Attraktivität von Krediten als zu stark, um ihnen widerstehen zu können. Die Kreditkartenfirma Amex warb mit den „Privilegien einer Mitgliedschaft.“ Und die Boomer unterschrieben in Massen. Nach den Angaben der amerikanischen Bundesbank von 1999 haben mehr als 42% der Baby Boomer im Durchschnitt Kreditkartenschulden von 11.616 US$.

Sie verschuldeten sich massenweise. Und sie behielten ihr Ausgabeverhalten bis weit in die Neunziger bei: Auflaufende Kreditkartenschulden und hohe Hypotheken waren die Folge. Anstatt es zu sparen, gab der durchschnittliche Boomer sein Geld aus. Diese Ausgaben – multipliziert mit Millionen von Konsumenten – hatten einen bemerkenswerten Effekt: die gesamte Wirtschaft wurde bald von Krediten, Geländewagen und Werksverkäufen überschwemmt. Die Natur der Wirtschaft wechselte über die Lebensspanne der Boomergeneration hinweg schrittweise ihren Fokus von der Produktion zum Konsum. Am Ende der Neunziger wurde der Trend grotesk: Dem Wert eines US$ Bruttosozialprodukt standen 4,8 US$ an Kredit und Schulden gegenüber.

Was braucht man, um Wohlstand zu schaffen? Zeit. Arbeit. Vorstellungskraft. Fähigkeiten. Geduld. Statt jede daherkommende Münze einfach auszugeben, ist es notwendig, einige zu sparen, um sie in Kapitalverbesserungen zu investieren – z.B. in neue Maschinen –, damit mehr Wohlstand geschaffen werden kann. Aber hier war eine Generation am Werk, bei der die hart erarbeitete Tradition der Vergangenheit verloren gegangen ist. Sie hatten keine Geduld, um zu sparen oder zu investieren.

Das war kein Anlass zur Sorge. Dank der größten Kreditaufnahme aller Zeiten erfuhr die U.S. Wirtschaft einen nie da gewesenen Boom. Trotzdem, es war ein Boom der sonderbaren Art. Familien waren zwar in der Lage, ihren Lebensstandard aufrechtzuerhalten und die Illusion finanzieller Fortschrittlichkeit zu genießen … jedoch nur durch anhaltende Verschuldung und härtere Arbeit.

Die Donut Ökonomie

Die Amerikaner verwechselten Kapitalgewinne mit Kapitalakkumulation. Sie konnten auf ihre Wertpapierportfolios blicken und sich reich wähnen. Aber zur selben Zeit waren die Schulden auf Rekordhöhe angelangt. Die Amerikaner – die sich selbst für die Besten halten (wie die Japaner 1989) –, steigerten die Bewertung von Aktivposten in absurde Höhen. Aber im Gegensatz zu den Japanern wurden sie auch gleichzeitig zu den weltgrößten Schuldnern, mehr Menschen Geld schuldend als jede andere Nation jemals zuvor.

Wurden sie so reich wie sie glaubten? Die Zahlen sind schwer nach zu verfolgen und oft irreführend, aber wenn man es versucht, ist es aufschlussreich.

Paul Krugman hat sich mit dieser Aufgabe in einem Artikel im New York Times Magazine vom 20.10.2002 befasst. „In den letzten 30 Jahren“, schrieb er, „haben die meisten Leute nur moderate Einkommenszuwächse verzeichnet; das Durchschnittseinkommen in Amerika wuchs inflationsbereinigt von 32.522 US$ im Jahr 1970 auf 35.864 US$ im Jahr 1999 – den  Dollarwert von 1998 zugrunde gelegt. Das ist eine Zunahme von 10% über einen Zeitraum von 29 Jahren – ein Fortschritt, aber kein sehr großer.“

„Das durchschnittliche Familieneinkommen – das Gesamteinkommen geteilt durch die Anzahl der Familienmitglieder – wuchs von 1979 bis 1997 um 218%“, fährt Krugmann fort, „aber das mittlere Familieneinkommen – das Einkommen einer Familie in der Mitte der Verteilungskurve, ein besserer Indikator dafür, wie sich die typische amerikanische Familie darstellt – wuchs um nur 10%. Und die Einkommen des unteren Fünftels der Familien fielen sogar leicht … Mittlere Familieneinkommen stiegen um nur 0,5% pro Jahr – und soweit die unzuverlässigen Daten suggerieren, beruhte fast die gesamte Zunahme auf Frauen, die länger arbeiteten - mit geringem oder gar keinem Gewinn im Realeinkommen.“

Schein-Boom

Welche Art von Boom war das? Wie kommt es, dass die dynamischste, technologisch fortgeschrittenste kapitalistische Gesellschaft ihre Prämien nicht mit den Leuten teilte, die die Räder schmierten und ihr Geröll auf die Halde schleppten? Dahinter muss sich mehr verbergen, richtig? Richtig.

Krugmann fährt fort, und vergleicht das Amerika des ungezähmten Unternehmertums zum Beginn des dritten Millenniums mit dem quasi-sozialistischen Schweden, das kaum am großen Boom der „Neuen Ära“ teilgenommen hatte:

„Die Lebenserwartung in Schweden ist um drei Jahre höher als in den Vereinigten Staaten. Die Kindersterblichkeit ist um die Hälfte geringer als der US-Durchschnitt; funktionaler Analphabetismus ist erheblich seltener als in den Vereinigten Staaten; die Schweden machen länger Urlaub als die Amerikaner und sie arbeiten weniger Stunden pro Jahr. Die schwedische Durchschnittsfamilie hat einen Lebensstandard, der mehr oder weniger vergleichbar ist mit dem einer durchschnittlichen amerikanischen Familie. Die Gehälter sind im Vergleich eher höher und die höhere Steuerbelastung wird durch öffentliche Gesundheitsfürsorge und generell bessere öffentliche Dienste ausgeglichen. Wenn man sich die untere Einkommensverteilung anschaut, dann ist der schwedische Lebensstandard dem der Vereinigten Staaten voraus. Schwedische Familien mit Kindern, die sich im unteren 10%-Bereich der Einkommensverteilung befinden – das heißt ärmer als 90% der Bevölkerung sind – haben ein 60% höheres Einkommen als im amerikanischen Vergleich. Eine Erhebung: 1994 lebten nur 6% der Schweden mit weniger als 11 US$ pro Tag, verglichen mit 14% in den USA.“

Natürlich kann man daraus viele unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen. Entsprechend gelang es Krugmann auch, einige absurde zu finden. Aber seine Fakten sind enthüllend. Amerikas großer Boom war ein Schwindel.

In Folge dessen entsprachen die Karriereaussichten und Gehälter vieler Boomer nicht ihren Halluzinationen. Die Stundenlöhne fielen seit den Siebzigern und haben sich seitdem kaum verbessert. „Nominal stiegen die Löhne – aber real (bereinigt um die Inflationsrate) sah das Bild ganz anders aus“, so der Ökonom Gary North.

Von 1947 bis 1973, als das Topp bei Einnamen und Ausgaben der Eltern der Boomer erreicht war, stiegen die Gehälter. Aber von 1973 bis 1993, den Jahren, die von der Presse als die „Jahrzehnte der Gier“ bezeichnet wurden, gab es keinen Zuwachs des Familieneinkommens. Um das Niveau zu halten, traten mehr Hausfrauen in ein Arbeitsverhältnis ein. Aber das hatte unvorhergesehene Konsequenzen: Die Realeinkommen der Männer fielen. Ein Mann verdiente 1979 im Durchschnitt 677 US$ pro Woche. Im Jahr 2000, also 21 Jahre, später verdiente er pro Woche 33 US$ weniger. Andererseits nahmen die Einkommen der Frauen im fast gleichen Zeitraum von 20 Jahren nur 47 US$ zu. Und ihre Einkommen blieben geringer als die der Männer.

„Die Gesamtarbeitszeit amerikanischer Familien nahm zu“ zeigt North auf, „aber das Familieneinkommen stagnierte.“ Während dieser gesamten 21-Jahres-Periode arbeiteten die reichsten Familien am meisten, aber auch alle anderen Einkommensgruppen verlängerten ihre Arbeitszeit drastisch. Jedoch stiegen die Familieneinkommen trotzdem nicht. North kommt zu dem Schluss: „Für diese Reduktion des Prokopfeinkommens gibt es keine ausreichende Erklärung, die von Ökonomen akzeptiert würde.“

Hier eine Erklärung: Der allgemeine Glaube der Boomergeneration war von dem ihrer Eltern etwas abweichend. Stück für Stück, eher durch Ablagerung als durch individuelle Logik, hatten sie sich das Credo des „Whole Earth Catalog“ zu Eigen gemacht: „Wir sind wie Götter, und auch darin könnten wir gut werden.“ Diese Götter hatten sich eine Wirtschaft nach ihrem eigenen Ebenbild geschaffen. Eine gesunde Wirtschaft braucht Umsicht, Sparsamkeit, Ersparnisse, Geduld und Disziplin – ganz eigentümlichen Eigenschaften, die die Boomer niemals hatten. Schon bald begann die Wirtschaft die Persönlichkeitsstruktur der Boomer widerzuspiegeln: überheblich, kurzsichtig, auf kurzfristige Befriedigung aus, rücksichtslos und selbstgefällig.

Degenerierter Spätkapitalismus

Nirgendwo kamen diese Charakterzüge besser zum Vorschein – oder mit katastrophaleren Ergebnissen – als in den Managementetagen der US-Konzerne. Eigentlich müsste man, um zukünftige Gewinne abzusichern, in neue Fabriken und Ausrüstungen investieren. Stattdessen halbierten die US-Konzerne diese Ausgaben und engagierten sich in verschiedenen Formen  der Bilanztrickserei, um die Profite auf Kosten der Bilanzen zu erhöhen. So wie die neuen überheblichen Amerikaner selbst, verschuldeten sich auch die Firmen stark. Oftmals verkauften sie ihre eigenen Anteile zu überhöhten Preisen, um die Illusion wachsender Profite aufrecht zu erhalten.

Von der amerikanischen Zentralbank (Fed) initiierte Scheinkredite steigerten den Konsum und die Zunahme von schlechten Investitionsentscheidungen. Beide Umstände führten dazu, dass die realen Ersparnisse, die für das zukünftige Wachstum zur Verfügung standen, schmolzen. Diese Tatsache - kombiniert mit dem Zusammenbruch der Gehälter, der Ersparnisse und der Kapitalgewinne - bedeutete, dass die verfügbaren Ressourcen für Wachstum und Entwicklung während des Booms unvermittelt zusammenschrumpften … und möglicherweise 1999 geringer waren als zum Beginn des Booms.

Nach der Auffassung des Volkswirtes Dr. Kurt Richebächer ist das sichtbare Ergebnis (des Konsumwahns) der steile Anstieg des Konsums zum elementaren Bestandteil des Bruttosozialproduktes – ein Ergebnis, das niemand zur Kenntnis nimmt. In den späten 1970ern betrug der Anteil des Konsums an der gesamten amerikanischen Wirtschaftsleistung 62%. Ende der 1980er wuchs diese Zahl um 4% auf 66%; und sie wuchs um weitere 4% zum Ende der 1990er hin. Und Ende 2001 war der Konsum für mehr als 90% des Wirtschaftswachstums verantwortlich.

Die Zunahme des Konsums sollte einen weiteren unangenehmen Effekt haben. Die Boomer verdrehten die Wirtschaft ihrer Eltern, die auf (relativ) hohe Sparquoten, hohe Kapitalinvestitionen und hohe Wertschöpfung ausgerichtet war, in eine Konsumgesellschaft mit geringen Sparquoten und geringen Kapitalinvestitionen. Das führte zu einer strukturellen Veränderung. Die Wirtschaft veränderte sich von einer, die ihnen auf lange Sicht gab, was sie brauchten, zu einer, die ihnen auf kurze Sicht gab, was sie wollten.

Argentinien Anleihe

Da viele den schnellen Konsum den Langzeitinvestitionen vorzogen, war die Wirtschaft auf einmal nicht mehr in der Lage, genug Einkommen und Gewinne zu produzieren, die es dem durchschnittlichen Amerikaner erlaubten, sich zur Ruhe zu setzen. Es ist zwar wahr, dass der Boom ihre Aktienportfolios in die Höhe trieb, aber 79 Millionen von ihnen konnten sich nicht auf einmal mit den Gewinnen auf ihren Papieren zur Ruhe setzen. In dem Moment, indem sie verkauft hätten, wären die Gewinne verschwunden.

Was sie brauchten, war ein Einkommen und Gewinne, um sich zur Ruhe zu setzen. Und deswegen brauchten sie eine Wirtschaft mit hohen Sparerträgen und Kapitalinvestitionen.

Warum brachen die Unternehmensgewinne zusammen… warum stagnierten die privaten Einkommen… und warum mussten die Amerikaner länger und länger arbeiten, nur um ihren Lebensstandard aufrecht zu erhalten? Unsere Antwort ist: Nichts ist umsonst.

Ohne Ersparnisse kann es keine Investitionen geben –  denn dann kann nichts investiert werden. Stattdessen gibt es nur Investitionsabsichten, die mit Krediten bezahlt werden. Ohne reale Kapitalinvestitionen in gewinnbringende neue Maschinen, neue Fabriken und Ausrüstungen gibt es für die Menschen keine Jobs mit hoher Wertschöpfung. Die Gehälter können nicht steigen, weil die Firmen nicht wirklich mehr und bessere Produkte und Dienstleistungen anbieten. Die Menschen sind gezwungen, länger zu arbeiten und sich zu verschulden, während ihre Aktien und Grundstücke im Wert steigen. Das verschafft ihnen die Illusion finanziellen Fortschritts. Sobald sie dann denken, dass sie reich geworden sind, neigen sie dazu, sich Geld zu leihen und mehr auszugeben – das verzerrt weiter die gesamte Wirtschaft und führt zu einem Konsum, der nicht aufrecht erhalten werden kann. Und schließlich erreichen die Konsumenten das Pensionsalter und bemerken, dass sie nicht genug Geld haben.

Was können sie machen? Geht zurück an die Arbeit!

„Jedermann zurück auf den Arbeitsmarkt“  forderte die Time in ihrer Ausgabe vom 20. Juli 2002. „Zusammenbrechende Renten, längere Lebenserwartungen und ein generelles Abschmelzen der Aktienkurse summieren sich zu Folgendem: Die meisten von uns werden bis weit in ihre Siebziger arbeiten müssen.“ Zu guter Letzt gewöhnten sich die Amerikaner daran. Seit 1982 schuften sie Stunden um Stunden. Jetzt waren sie bereit, zu arbeiten, bis sie tot umfielen.

Im Aktienfieber

Groß geworden in einem Bullenmarkt gab es nichts in den Erfahrungen der Babyboomer, das sie dazu veranlasst hätte, zweimal nachzudenken. Eine ganze Generation von Investoren verfiel dem Glauben, dass sie eine Entdeckung gemacht hätten, die genau so angenehm war wie Sex und genauso feststehend wie die Schwerkraft. Sie dachten, dass sie nun etwas wüssten, was ihren Vorfahren entgangen war: Aktienkurse steigen unaufhörlich. Diese neue Metapher war wie ein Geschenk des Himmels, das bisher unbemerkt geblieben war.

Wie James K. Glassman in seinem 1998 erschienen Buch „Dow 36.000“ ausführt, wurden die Aktien in den letzten zwei Jahrhunderten falsch bewertet. Die Investoren hatten eine „Risikoprämie“ von den Aktien eingefordert, weil Aktien einem höheren Risiko unterlagen – das hieß, sie forderten höhere Gewinne von ihren Aktieninvestitionen als von ihren Investitionen in Anleihen. Nun aber enthüllte Glassman die schockierende Entdeckung: Aktieninvestitionen waren überhaupt nicht risikobehafteter; es gab überhaupt keine Notwendigkeit für eine Risikoprämie. Man nehme die Risikoprämie weg, drehe ein bisschen an den Zahlen und die Aktien sollten erheblich teurer werden – sagen wir, der Dow Jones könnte bei 36.000 Punkten stehen. Warum nicht?

Das Problem war, dass der durchschnittliche Investor im Jahre 2001 bisher niemals einen Penny in Aktien investiert hatte, bevor der große Bullenmarkt von 1982 bis 2000 losbrach. 

Die große Illusion

Aber im Oktober 2001 war dem durchschnittlichen Babyboomer – der sich zum Investor gewandelt hatte – nichts davon gegenwärtig. Er schaute auf den Dow Jones, der der Inflation nicht angepasst war. Er muss auf die Diagramme geschaut haben, wie ein Bergsteiger einen Berg betrachtet. Sein Blick schweifte über die rechte Seite, und da war er: der Everest des großen Bullenmarktes von 1982 bis 2000. Im Anblick dessen kam es ihm so vor, als ob er die Schluchten, Bäche, Flüsse und Abhänge besser ignorieren sollte. Die wichtige Sache war doch, nach oben zu kommen. Und um das zu erreichen, war alles, was er tun musste…loszugehen.

In den 1990ern wurde der Bullenmarkt durch niedrige Zinsen und eine konsumorientierte Gesellschaft angespornt, und die Kurse eilten von Hoch zu Hoch. Am Ende der Phase anhaltender Prosperität bildete sich eine Spekulationsblase, die den historischen Gesetzen von Auf- und Abschwung folgte. Von 1982 bis 1999 legte der S&P 500 um 19% pro Jahr zu, Dividenden eingeschlossen. In der darauf folgenden Periode von 1994 bis 1999 machten sich die Aktien sogar noch besser: Der S&P 500 nahm um 20% pro Jahr zu. Die Boomer waren euphorisch.

Aber es war nur ein Traum. Im Frühjahr 2000 begann Richard Russel mit dem Ende der Blase und dem Beginn eines langen, schwierigen und verwirrenden Bärenmarktes zu rechnen – dabei berief er sich darauf, was er die „Top Out Parade“ nannte: „Die täglichen neuen Hochs erreichten am 3. Oktober 1997 zum letzten Mal ihren absoluten Höhepunkt … das Verhältnis von steigenden zu fallenden Aktien erreichte am 3. April 1998 das Topp… die Aktien des Transportsektors am 12. Mai 1999 … der NYSE Financial Average am Tag darauf. Die Versorgertitel erreichten ihren Höhepunkt am 16. Juni 1999 … der NYSE Composite einen Monat später. Der Dow Jones selbst erklomm sein Allzeithoch am 14. Januar 2000 - bei einer Marke von 11.722,98 Punkten. Der Nasdaq erreichte seinen Höhepunkt am 10. März, bei 5.048,62 Zählern. Und der S&P seinen am 24.März bei 1.527.“

Die Blase war geplatzt. Markt für Markt, Sektor für Sektor, Aktie für Aktie – alle überschritten ihren Höhepunkt und begannen einen anhaltenden Rückzug. Die Investoren aber wollten sich  noch immer nichts anderes vorstellen als steigende Aktien. Angespornt von TV, Büchern, Magazinen, Cocktailpartygeplapper und dem Internet waren sie der Überzeugung, dass sie sich keine Sorgen machen müssten über die sinkenden Aktienkurse. Nicht dass der Aktienmarkt notwendigerweise gegen Schwächen immun war, aber man glaubte, dass „auf lange Sicht die Aktien sich immer wieder erholen würden.“ Diese Sichtweise hatte Jeremy Seigel überzeugend in seinem Buch „Stocks for the Long Haul“ ausgeführt.

Nur wenige waren geneigt, sich in Erinnerung zu rufen, dass in der Vergangenheit Phasen sinkender Aktienpreise über viele Jahre angehalten hatten. Ein gewisser Mr. Kurt Leln aus St. Paul, Minnesota, versuchte andere Investoren zu warnen. In einem Leserbrief an das Barron´s Magazin führte er aus, dass der Dow Jones 1954 noch immer um 27% niedriger stand als 25 Jahre zuvor. Und 1982 notierte er tatsächlich 22% niedriger als 1966. „Ich fürchte, dass es viele der heutigen Investoren als katastrophal betrachten würden, wenn der Dow Jones im nächsten Jahr auf die 8.500er-Marke zurückfallen würde“, schrieb Mr. Leln. „Ich mag mir ihre Reaktion kaum vorstellen, wenn sich die Geschichte wiederholen sollte und der Dow Jones noch im Jahr 2025 auf dem 8.500er Level herumdümpelt.“

Der Dow Jones fiel in der Tat auf die 8.500 zurück … auf 8.567.39 am 26. 1.2001, um exakt zu sein … und noch weiter auf 7.997.12 am selben Datum ein Jahr später. Aber Amerikas neue Investoren betrachteten das nicht als ein Desaster. Noch nicht. Sie waren von dem „Erfolg“ des achtzehnjährigen Bullenmarktes geblendet. Je ernsthafter sie glaubten, dass Kaufen und Verkaufen wirklich funktionierte, desto unausweichlicher sollten sie alle ihr Geld verlieren.

Der durchschnittliche Boomer kam in das Alter seines ersten Aktienkaufes in einem Jahr, indem alle guten Dinge nicht nur möglich, sondern unausweichlich scheinen. Auf dem Höhepunkt des Booms wurden Slogans, wie „kaufen und liegenlassen“, „stell Dich nicht gegen die Fed“ und „langfristig Aktien kaufen“ für wahr gehalten. Warum sollte man nicht Teile des Extraeinkommens nehmen und den Trend mitmachen? Man konnte sich sogar vorstellen, sich jung zur Ruhe zu setzen. Bei 18% Rendite pro Jahr mit Aktien konnte sich  ein 47 Jähriger mit 100,000 US$ in einem Aktienfonds vorstellen, sich mit 59 Jahren und 1 Million US$ zur Ruhe zu setzen.

Bei der Aussicht auf so viel imaginären Wohlstand sah er keinen Grund, sich bei seinen kleinen Konsumausgaben zurückzuhalten, die er gegenwärtig hatte.

Aber nur ein paar Jahre später wurde die Mathematik komplizierter. Er konnte keine 18% … oder 15% … oder selbst 12% pro Jahr bei seinen Aktieninvestitionen mehr erwarten. Warren Buffett ging davon aus, dass er nur noch 6 bis 7% von seinen Aktien über die nächsten 5 bis 10 Jahre erwarten könne. Bill Gross, Manager des riesigen PIMCO-Rentenfonds, ging von 6% aus. Jeremy Grantham äußerte gegenüber dem Barron´s Magazin, dass fünf% als wahrscheinlichste Annahme gelten könnten. In Anbetracht der zu erwartenden demographischen Veränderungen in den Vereinigten Staaten sind selbst diese Zahlen Wunschdenken.

Schlechte Aussichten

Drei kleine Zahlen am Ende der Welt

  1. Durchschnittliches Alter der Babyboomer am 1. Januar 2001: ca. 45 Jahre.
  2. Durchschnittliches Kapital in Pensionsfonds und Ersparnissen: gut 40.000 US$
  3. Anzahl der Jahre mit 6% Wachstum, die notwendig sind, damit die Ersparnisse eine komfortable Rente sichern: 49

Aber halt, da gibt es eine weitere Zahl, die möglicherweise wichtig ist:

  1. Guthaben des U.S. Social Security Trust Fund: US-$ 0

Die Autoren glauben nicht an übers Knie gebrochene Zahlen. Ebenso wenig lassen wir die Luft raus, verdrehen sie, blasen sie auf oder zwingen sie in ansprechendere Formen. Wir nehmen sie nur so, wie sie sind, ohne jedoch einverstanden zu sein. Die vorausgegangenen Zahlen an die Wand zu malen bedeutet keine große Kunst … es ist eher ein monströses futuristisches Tafelbild. Etwas, das Goya möglicherweise an einem schlechten Tag gemalt hätte … oder Andre Serano an einem guten Tag. Dieses Szenario ist im Westen mehr oder weniger überall gleich. Mehr und mehr Menschen werden älter und älter. Und - wie bereits oben besprochen: Japan ist der Trendsetter. Seine Bevölkerung ist um die zehn Jahre älter als die meisten anderen westlichen Nationen. So fragen wir uns, was passiert, wenn die Gesamtbevölkerung alt wird? Um eine Antwort zu bekommen schauen wir nach Japan … und das, was wir sehen, gefällt uns nicht. Und dann erinnern wir uns an etwas Schlimmeres: Der durchschnittliche japanische Hausbesitzer hat nie besonders in Aktien investiert … und nie aufgehört zu sparen. Das Bild in den Vereinigten Staaten wird sich in den nächsten 12 Jahren sogar noch verschlimmern.

Was würde passieren, fragen wir uns, wenn der große amerikanische Babyboomer sich in den kommenden Jahren in einen kleinen Japaner verwandelt? Was, wenn er feststellt, dass er keine weiteren 49 Jahre warten kann, um sein Nest zu bauen? Was, wenn er sich entscheidet, seine Ausgaben einzuschränken, seine Schulden zu bezahlen und so seine Ersparnisse zu ergänzen?

Was passiert mit den Unternehmensgewinnen, wenn sich ihre Produkte nicht mehr verkaufen? Was passiert mit den Konsumentenpreisen, wenn auch der weltletzte Konsument aufgehört hat zu konsumieren? Und was passiert, wenn die Aktien nicht weiterhin ihre langsame Erholung fortsetzen – 5 bis 7% pro Jahr –, wie jedermann erwartet? Was ist, wenn der New Yorker Dow Jones seinem entfernten Cousin in Tokio folgt und im Jahr 2012 bei der Marke von 2.7000 steht? Kurz, was passiert mit der Weltwirtschaft, wenn älter werdende Babyboomer beginnen, sich ihrem Alter entsprechend zu verhalten?

Die oben erwähnte Cowles Foundation-Studie gibt uns gute Hinweise darauf: Nur auf die Demographie gestützt kann man davon ausgehen, dass die US-Aktien in den nächsten 18 Jahren an Wert verlieren werden. Und man kann davon ausgehen, dass die Konsumenten beginnen werden, zu sparen. Die Bedeutung dieser Studie liegt nicht darin, dass sie uns eine bestürzende Zusammenfassung liefert, sondern eher eine bereits erwartete. Die Natur korrigiert über kurz oder lang alles: Die Boomer, ihr Aktienmarkt und alles was dazu gehört.

Die Studie zeigt einen starken Zusammenhang zwischen  Alter und Kurs-Gewinn-Verhältnissen auf. „Die Ergebnisse, die wir erhalten,“ führen die Autoren der Studie in ihrer Einleitung aus, „unterstützen stark die Sichtweise, das Veränderungen in der demographischen Struktur einen signifikanten Wandel der Aktienkurse verursachen – und auf eine Art und Weise, die Variationen in den obliegenden Parametern standhält.“ Das Kaufverhalten von älter werdenden Investoren kann den 20jährigen Bullenmarkt erklären … und nimmt den zunehmenden Wertverlust in nächster Zukunft vorweg. „Wir erhalten Einblicke in die Variationen der Kurs-Gewinn-Verhältnisse, die schätzungsweise in den USA in den letzten 50 Jahren beobachtet wurden“, erklären die Autoren, „und in Übereinstimmung mit der jüngsten Arbeit von Campbell und Shiller (2001), unterstützt das Modell die Einsicht, dass ein substantieller Rückgang des Kurs-Gewinn-Verhältnisses in den nächsten zwanzig Jahren zu erwarten ist.“

„Das Einkommen eines Einzelnen ist niedrig, wenn er jung ist, hoch in seinem mittleren Lebensabschnitt und als Rente wieder niedrig oder nicht existent“, erklären sie - und diese Ergebnisse sind übereinstimmend mit jenen von Harry Dent und Ya-Gui Wei. Außerdem ist der Studie zufolge die Demographie der kritischste Faktor, um Langzeitmarkttrends zu bestimmen, da das Investitionsverhalten zu großen Teilen von altersbezogenen Mustern abhängig ist.

Der Report gelangt zu dem Schluss, dass jüngere Erwachsene von 20 bis 39 zu Konsumentenverhalten neigen, während 40 bis 59jährige allgemein in Aktien investieren und Pensionäre (60+) eher dazu tendieren, Anteile zu verkaufen als sie zu erwerben: „In ihrer Jugend streben sie danach, Kredite aufzunehmen, im mittleren Lebensabschnitt investieren sie in Aktien und Obligationen und leben von diesen Investitionen im Pensionsalter.“ Die Studie hält außerdem fest, dass die relative Zahl der Menschen in jedem dieser Lebensabschnitte in starker Weise auf die Darstellung des Marktes Einfluss nimmt.

Wie erklärt das die Aktienmarktperformance in den Vereinigten Staaten seit den 1970ern? Die 1970er und die 1980er waren Phasen hohen Konsums und hoher Ausgaben. Die Boomer waren junge Erwachsene und man erwartete gerade dieses Verhalten von ihnen. Die Aktienkurse begannen, von den 1980ern bis 1999 zu steigen. Genau in der Periode, als die Boomer im mittleren Alter waren. Vorhersehbar - wie es der Fall in Japan gewesen war - erreichte der Aktienmarkt seinen Höhepunkt im Jahr 2000, dem Jahr, als das Verhältnis von Leuten mittleren Alters zu jüngeren Erwachsenen auf dem Höhepunkt angelangt war. Entsprechend sollten die Aktienverkäufe durch Boomer, die sich im Pensionsalter befinden, die Käufe, die durch die nächste Generation im mittleren Lebensabschnitt getätigt werden, aufwiegen. Die Studie sagt voraus, dass die generelle Ausrichtung des Marktes ungefähr bis 2018 abwärts verlaufen wird, wenn er auch zwischenzeitlich immer mal wieder eine Rally hinlegen wird.

Ein anhaltendes Gerücht während des Booms an der Wall Street besagte, dass diese Millionen Babyboomer Milliarden von US$ in Aktienfonds pumpen würden – für ihre Rente.  Von diesem Strom nahm man an, dass er den Dow Jones auf die 36.000er Marke pushen würde, was Harry Dent veranlasste vom „größten Boom aller Zeiten“ zu sprechen. Dent hat zwar den Zeitraum falsch eingeschätzt, aber es war in der Tat der größte Boom in der Geschichte.

Das war sogleich der Grund, warum dem Boom der größte Abschwung der Geschichte folgte.

Eine neue Mathematik kommt auf

Nach allen Berechnungen war der Dow Jones mit 11.722 Punkten überbewertet. Der Nobelpreisträger und Ökonom James Tobin entwickelte einen „q“ genannten Faktor, um zu berechnen, wie überbewertet der Markt war.

Die Idee dahinter war einfach. Eine Firma sollte das wert sein, was es kosten würde, sie zu ersetzen. Wenn die Kosten für das Ersetzen einer Firma genau so hoch wie ihre Marktkapitalisierung waren, dann sollte „q“ gleich 1 sein. Smithers und Wright wendeten das „q“-Konzept auf den gesamten Aktienmarkt an und entdeckten, dass der Markt, wenn er dem Beispiel des Bärenmarktes von 1973 bis 1974 folgen würde, unter die 4.000er Marke sinken würde. Der Dow Jones würde sogar unter die 2.000er Marke fallen, wenn er dem Muster in der Nachfolge des Crashs von 1929 folgen würde.

Wie das? Wir können uns das nicht einmal vorstellen.

Ende 2002 kam mit der Boomergeneration eine neue Berechnungsgrundlage auf. Wie Buffett und viele andere ausgeführten, haben die amerikanischen Finanzmärkte seit 1792 acht große Bärenmärkte erdulden müssen, die im Durchschnitt über 14 Jahre angehalten haben: Von 1802 bis 1829, 1835 bis 1842, 1847 bis 1859, 1872 bis 1877, 1881 bis 1896, 1902 bis 1921, 1929 bis 1942 und von 1966 bis 1982.

Der durchschnittliche Verlust dieser 8 Bärenmärkte würde einen Investor an die 6% pro Jahr über mehr als 14 Jahre hinweg gekostet haben. Wenn dieser Bärenmarkt dem Muster seiner Vorgänger folgten würde, dann würden die Kurse in den nächsten zwölf Jahren weiter fallen. Sollte er dem Muster der beiden Bärenmärkte folgen, die in den beiden vorangegangenen Jahrhunderten hervorgestochen waren – die von 1802 und von 1902 -, dann wäre er in den nächsten 20 Jahren nicht vorbei.

Ein Investor, der 35jährig auf dem Höhepunkt der Spekulationsblase im Jahre 2000 gekauft hat, wird vermutlich 55 Jahre alt werden müssen, bevor seine Investitionen wieder ihren ursprünglichen Wert annehmen. Zugegeben: Ein Investor, der noch immer seine Baseballkappe nach hinten trägt, kann die Abwärtszyklen aussitzen. Auf lange Sicht kann er sich selbst sagen, ich werde hier erhobenen Hauptes rausgehen. Aber ein Investor, der seine Pensionierung vor Augen hat, wird seine Finanzen mit größerer Sorge betrachten. Normalerweise wird er auf den Wertzuwachs seiner Aktien, wenn es überhaupt einen gibt, zugunsten von sicheren Gewinnen aus Obligationen, Anleihen oder Mieten verzichten.

Die Menschen sind keine Idioten, nicht einmal die Babyboomer. Sie wissen, dass sie Geld für ihre Zukunft beiseite legen müssen. Das heißt, wenn die Kapitalgewinne verschwinden, müssen sie sie irgendwie kompensieren. Für eine Weile können sie sich natürlich vormachen, dass sich der Markt wieder erholt und dass sie Kapitalgewinne erhalten werden. Und vielleicht wird sich der Markt entsprechend verhalten –  für eine Weile. Aber die Arithmetik ist unerbittlich.

Soziale Sicherheit … nicht ganz

Die erste staatliche Rentenversicherung wurde von Otto von Bismarck 1880 in Deutschland eingeführt. Fünfzig Jahre später, während der Zeit der Weltwirtschaftskrise, folgte in den USA Franklin Roosevelt diesem Beispiel. Wie wir gesehen haben, hat man die Zahl der Leute, die mit 65 in Rente gehen, nicht als eine Bedrohung für zukünftige zur Verfügung stehende Ressourcen angesehen. Arbeiternehmer, die dieses Pensionssystem in Anspruch nahmen, bekamen zum einen jeden Monat nicht viel ausgezahlt, und man ging zudem nicht davon aus, dass sie lang genug lebten, um das System auszubluten.

Als die sozialen Sicherungssysteme in den USA gegründet wurden, konnte der typische amerikanische Arbeiternehmer, der 65 Jahre alt war, erwarten, noch etwa 11,9 Jahre zu leben. Aber wenn die heutigen offiziellen Berechnungen richtig sind, dann wird im Jahre 2040 der typische 65jährige Arbeiternehmer von 19,2 Jahren ausgehen können. Wenn das normale Pensionierungsalter seit 1935 der gestiegenen Lebenserwartung angepasst worden wäre, dann müssten die heutigen Arbeitnehmer warten, bis sie 73 sind, um volle Renten in Anspruch zu nehmen - und die Arbeitnehmer von morgen würden noch länger warten müssen.

In ihrem Bericht „Demographie und Kapitalmarktrenditen“ führen Robert Arnott und Anne Casscells aus, dass die Krise nicht in den sozialen Sicherungssystemen begründet ist, sondern in der Demographie. „Wenn die gesamte Gesellschaft älter wird“, so die beiden Autoren, „ist das, worauf es am meisten ankommt, das Verhältnis zwischen den Arbeitnehmern und den Rentnern. Unglücklicherweise, wird das Altern der Babyboomgeneration, die einen überproportionalen Anteil der Bevölkerung ausmacht, eine dramatische Verschiebung im Verhältnis von Arbeitnehmern und Pensionären verursachen, eine die der Gesellschaft eine enorme Belastung aufbürdet und zu Spannungen in der Bevölkerung führt.“

In den Vereinigten Staaten, genauso wie in anderen Industrieländern, summiert sich der Gegenwartswert der ausstehenden Pensionen auf 100 bis 250% der gesamten Wirtschaftsleistung. Das sind „verdeckte Schulden“, die die offiziellen öffentlichen Schulden bei weitem übertreffen. Im Gegensatz zum privaten Sektor werden sich diese Schulden nicht über die nächsten 30 bis 40 Jahre als Ausgaben amortisieren. Und es sollte darauf hingewiesen werden, dass unter normalen Bedingungen die Wirtschaft mit derartigen Defiziten nicht funktioniert. Sie funktioniert so nur in Krisenfällen.

Davon ausgehend, dass die gegenwärtige Politik unverändert bleibt, wird der Anteil der sozialen Sicherungssysteme an der gesamten Wirtschaftsleistung von aktuell 4,2% auf 6,6% im Jahr 2030 steigen – was einem Zuwachs von  57% entspricht. Wenn diese 2,4% Zuwachs ab 2001 zahlbar gewesen wären, dann würde sich eine Summe von 235 Milliarden US$ pro Jahr ergeben, oder mehr, als sich aus einer Erhöhung der Einkommenssteuer um 25% ergeben würde.

Gift für die Renten

Als ob das noch nicht genug gewesen wäre, wurden die privaten Vorsorgeleistungen zunehmend verwundbar, nachdem die Aktienmärkte seit 2000 fielen. Die Firmen hatten  mit Blick auf ihre Betriebsrenten genauso sorglos in Aktien investiert wie der individuelle Investor und gerieten nun in Bedrängnis. So stellt z. B. Eric Fry von Apogee Research heraus, dass mit dem Ende des Fiskaljahres am 31. Oktober 2001 der Landmaschinenproduzent Deere & Company von seinen Pensionsfonds Investmentgewinne in Höhe von 657 Millionen US$ erwartete. Stattdessen hatten diese Anlagen Verluste in Höhe von 1,4 Milliarden US$ gemacht, eine Differenz von mehr als 2 Milliarden US$, die Deeres Unterdeckung der eigenen Pensionsfonds auf mehr als 3 Milliarden US$ steigerte.

Genauso berichtete General Motors (GM), dass das in den eigenen Pensionsfonds angelegte Vermögen im Jahr 2002 um 10% im Jahr 2002 gefallen war. Das bedeutet, dass die Rentenausgaben der Firma nach Abzug der Steuern 2003 auf 1 Milliarde US$ angestiegen sein könnten, was 1,80 US$ je General Motors-Aktie entsprechen würde. Standard & Poor´s setzte sofort die Kreditwürdigkeit von GM herab, weil die schlechte Entwicklung der Pensionsfonds zu einem riesigen Anstieg der Unterfinanzierung dieser Fonds beigetragen hatte. Während des Bullenmarktes der 1990er hatten Gewinne ausgelagerter Investitionen zu überproportionalen Gewinnen geführt. Auf die eine oder andere Weise aber hatten es Amerikas kreative Vorstandsvorsitzende sichergestellt, dass diese zusätzlichen Gewinne nicht in die Pensionsfonds flossen, sondern mithalfen, die ausgewiesenen Gewinne zu erhöhen.

Allerdings steigen die Aktienkurse nicht nur, sondern sie fallen auch. Der Bärenmarkt der letzten paar Jahre brachte diese Handhabung der Gewinne der Pensionsfonds zu einem abrupten Halt. Die meisten der betrieblichen Pensionsfonds, die einst ein fetter Überschuss auszeichnete, waren nun böse unterfinanziert. Nach David Zion, einem Bilanzanalysten von CSFB, waren von den 360 Firmen, die im S&P`s 500 Index mit festgelegten Rentenanlagen aufgeführt wurden, zum Ende des Jahres 2001 240 unterfinanziert.

In einem Bärenmarkt können Firmen nicht länger Teile ihrer Aktiengewinne aus Rentenanlagen als Profite verbuchen. Viele Firmen sehen sich zuerst gezwungen, Bargeld nachzuschießen, um die Unterfinanzierungen abzubauen, bevor sie wieder in ihr Geschäft investieren, Schulden abbezahlen, Anteile zurückkaufen oder andere Schritte einleiten können, um die Investoren zufrieden zu stellen. Hier sieht man nun wieder, dass angeblich kapitalistische Firmen eher für ihre Pensionäre arbeiten als für ihre Anteilseigner.

Im Jahre 2002 summierten sich die Pensionsfonds-Unterfinanzierungen der S&P 500 gelisteten Firmen auf insgesamt über 300 Milliarden US$. Auf lange Sicht wird das Geld aus dem Cash Flow der Unternehmen bereitzustellen sein, was die Gewinne, Dividenden und Anteilspreise weiter schmälern wird. 

Boom im Gesundheitswesen

Und zusätzlich zu den bereits vorhandenen Zweifeln und Unsicherheiten, denen sich die in Rente gehenden Boomer ausgesetzt sehen, sollten wir noch hinzufügen, dass dem US-Gesundheitswesen in Bezug auf die Kosten ein 7%iger Anstieg am Bruttosozialprodukt in den nächsten 40 Jahren bevorsteht. Eine Zuwachs, der mehr als doppelt so hoch ist wie in anderen Industrienationen. Die Zahl der „sehr Alten“ - jene, die über 80 sind - wird voraussichtlich bis 2050 stark zunehmen und wird zu einem dramatischen Anstieg der Langzeitpflegekosten und der Kosten im Gesundheitssystem im Allgemeinen führen.

Offizielle Planungen gehen davon aus, dass die US-Regierung im Jahr 2030 mehr für Pflegeheime ausgeben wird als für die heutigen sozialen Sicherungssysteme. „Obwohl die Menschen sich berechtigterweise Sorgen machen über ihre soziale Sicherung“, so Viktor Fuchs, ein Ökonom, der den Gesundheitsfürsorgesektor beobachtet, „sind die zu erwartenden Kosten im Gesundheitswesen für alte Menschen ein richtig harter Brocken für die amerikanische Wirtschaft.“ Wenn man die Ausgaben für sie sozialen Sicherungssysteme um die Planungen für die Pflegeausgaben ergänzt, dann können die totalen Kosten auf über 50% der Einkommensteuer ansteigen. Die Inflation der Kosten im Gesundheitswesen und politische Forderungen nach mehr Langzeitpflegeeinrichtungen drohen, die öffentlichen Ausgaben in den Vereinigten Staaten dramatisch ansteigen zu lassen. 

Probleme der sozialen Sicherheitssysteme

Menschen wählen nicht, ob sie alt werden wollen – weder individuell noch kollektiv. Das passiert einfach mit ihnen. Soweit wir es beurteilen können, kann eine Person genauso wie eine gesamte Wirtschaft ihren natürlichen Alterungsprozess nur auf unnatürliche Weise aufhalten - und damit macht man alles nur noch schlimmer. Ein Mann kann z.B. den Alterungsprozess dadurch aufhalten, indem er sich selbst aufbläst, genauso wie die Zentralbank eine Deflation durch die Zerstörung ihrer Währung vermeiden kann. Und wie eine Wirtschaft eine notwendige Entschuldung verschieben kann, indem sie die Menschen auffordert, sich noch mehr zu leihen.

Auf lange Sicht werden auch die sozialen Sicherungssysteme aufgeblasen, weil sie auf der Lüge aufgebaut sind, dass eine Person aus einem System mehr herausbekommt als sie eingebracht hat. Und während das für manche Menschen zwar gilt, kann es in der Gesamtheit nicht funktionieren. Die Illusion hängt von immer größeren Gruppen von Arbeitnehmern ab, die für das Wohl der Rentner zahlen müssen. Tatsächlich, diese Hoffnung liegt der Generation der Babyboomer zu Grunde: Sie erwarten nicht nur, dass die nächste Generation sie durch das soziale Sicherungssystem unterstützt, sondern sie erwarten auch, dass sie ihre Häuser und ihre Aktien der jüngeren Generation mit Gewinn verkaufen können. Aber früher oder später wird die nächste Generation davor zurückschrecken. Sie wird nicht groß oder reich genug sein, um den Boomern das geben zu können, was diese erwarten. Diesbezüglich denken die Amerikaner, wie in so vielen anderen Dingen, dass sie gegenüber den Japanern im Vorteil sind. Im Gegensatz zu Japan räumen die USA Immigranten das Privileg ein, einzuwandern und sich mit Arbeit abzurackern, um damit die alternde einheimische Bevölkerung zu unterstützen.

Man glaubt gemeinhin, dass Einwanderung ein Allheilmittel ist. Aber die oben zitierte Arnold-Casscells-Studie rechnet vor, dass die USA vier Millionen neue Immigranten pro Jahr benötigen - bzw. 1,5% Bevölkerungszuwachs pro Jahr -, um das System stützen zu können. Das läuft grob geschätzt auf eine Verdoppelung der gegenwärtigen Immigrationsraten hinaus. Das wird voraussichtlich nicht passieren.

Die Vorhut der Boomer ist jetzt 56 Jahre alt. Hinter ihnen sammeln sich 80 Millionen Amerikaner. Wenige von ihnen haben sich der Herausforderung der Pensionsplanung ernsthaft gestellt: 80% der Bevölkerung verfügt nur über Finanzreserven, die nicht mehr als acht Monate vorhalten. Der AARP Bericht spricht davon, dass die Bevölkerung über 50 finanziell nicht auf ihren Ruhestand vorbereitet ist. Und die Zahl derer, die nicht auf ihre Pensionierung vorbereitet ist, schwillt schneller an als deren untere Extremitäten. Im Jahr 2000 waren 76 Millionen Amerikaner oder 28% älter als 50. Im Jahr 2020 werden es 40 Millionen mehr sein, zusammengenommen 36% der Gesamtbevölkerung.

Ich vermute, dass die Babyboomer sehr bald mit Blick auf ihre Pensionierung die Ersparnisse entdecken werden, wie sie einst Sex, Drogen und Rock´n Roll entdeckten. Möglicherweise werden sie die Idee mögen … und denken, dass sie sie erfunden haben. Und vielleicht werden sie es genauso wie alles andere übertreiben.

Schon eine kleine Dosis Sparsamkeit könnte dramatische Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft haben. Jeder Änderung der Sparquote um 1 Prozentpunkt entspricht grob geschätzt 0,6% des Bruttosozialproduktes. In seinen Ausführungen für das American Enterprise Institute rechnet John Makin vor, dass die Boomer, wenn sie nur ein Drittel der Ersparnisse erbringen würden, die in den 1990ern üblich waren, auf 350 Milliarden US$ Ausgaben pro Jahr verzichten müssten.

Das würde die Wirtschaftsleistung um 3,5% schrumpfen lassen – eine Rezessionsgarantie für viele Jahre. Auch Dr. Richebächer hat seine Hausaufgaben gemacht. Er hat herausgefunden, dass sich die Sparquote nur um die Hälfte dem Nachkriegsdurchschnitt annähern müsste, um für die „tiefste und längste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg zu sorgen.“

Michael Vaupel

"Fairness, Respekt vor Mensch und Tier sowie der gewiefte Blick für clevere Investment-Chancen - das lässt sich meiner Ansicht nach sehr wohl vereinen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Ansicht gemeinsam vertreten werden - auch gegen den Mainstream."

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