Rezension: Aus Liebe zu Deutschland

Rezension: Aus Liebe zu Deutschland

„Widerlegt zu werden ist keine Gefahr, wohl aber, nicht verstanden zu werden.“

- Immanuel Kant

Diesen Satz habe ich nach reiflicher Überlegung ausgewählt, um ihn auf der Startseite von www.ethische-rendite.de zu platzieren. Und ich versuche auch, entsprechend zu handeln. So gebe ich mir zumindest die Mühe, keiner Diskussion (sofern sachlich) aus dem Weg zu gehen.

Und bei einer Diskussion gehe ich grundsätzlich davon aus, dass auch der andere Recht haben könnte. Eine Einstellung, die ich als selbstverständlich erachtete - bis mir in meinem Umfeld auffiel, dass es da gewissermaßen zu einer verstärkten Spaltung der Gesellschaft gekommen ist. So wird dort manch eine Aussage nicht nach deren Inhalt bewertet, sondern nach dem, wer sie getroffen hat. Behagt mir nicht, da ich es für zutiefst undemokratisch halte.

Neulich fiel mir das wieder auf, im Rahmen der Kommunalwahlen vor Ort. Ich versuchte, soviele Wahlveranstaltungen wie möglich - soweit es die Corona-Einschränkungen zuließen - zu besuchen. Interessante Diskussionen und das Anhören anderer Standpunkte machen mir durchaus Spaß, auch um die eigenen Ansichten daran zu messen. Nun, das mit dem "Spaß" relativiert sich leider, wenn der/die Redner ein Mindestmaß an rethorischen Fähigkeiten vermissen lassen. Doch das ist eine andere Sache.

Was mir indes auffiel: Im Bekanntenkreis stieß meine Vorgehenswese auf durchaus herbe Kritik. Wie könnte ich denn zu XY gehen, hieß es von den einen. Von den anderen wiederum hieß es, wie ich denn zu XZ gehen könnte. Ich war da etwas perplex. Als mündiger Bürger möchte ich mir durchaus anhören, was bei einer anstehenden Wahl die Positionen der Kandidaten/Parteien sind. Nur in der eigenen Filterblase zu schweben, ist mir auch intellektuell zu öde, auch wenn es einfacher wäre.

Langen Geschwafels, kurzer Sinn: Dies als Einleitung zu einer Rezension des neuen Buches von Hamed Abdel-Samad: Aus Liebe zu Deutschland

Denn bei der Lektüre dieses Buches habe ich mich mehrmals dabei "ertappt", zustimmend zu nicken (zumindest gedanklich). Der Autor sagte mir vorher nichts, deshalb ein kurzer Abriss seiner Biographie: Der 1972 in Ägypten Geborene studierte laut Klappentext Englisch, Französisch, Japanisch und Politik - und lebt seit den frühen 1990ern in Deutschland. Da er Kindheit und Jugend in einem anderen Kulturkreis verbracht hat, finde ich seine Anmerkungen über Deutschland im Allgemeinen und den Zustand der deutschen Demokratie im Besonderen äußerst lesenswert.

Bereits nach wenigen Seiten merkte ich, dass hier ein kluger Kopf schreibt - und das auch noch gut lesbar und mit viel Nähe, da persönliche Anekdoten verwendend.

Sein Plädoyer lautet, dass wir unsere Freiheit verteidigen sollten. Das klingt für sich genommen nach Sonntagsrede, doch Abdel-Samad wird konkret und erläutert, was er meint. Beispiel Verengung des politischen Diskurses. So klingen laut seiner Ansicht viele Beiträge der herkömmlichen Medien inzwischen eher wie "Statements eines Regierungssprechers" - als dass sie wie früher staatliche Autorität kritisieren und korrigieren.

Abdel-Samad beschreibt im Buch ein Beispiel aus seiner eigenen Biographie: Er war bei einem Empfang des Bundespräsidenten und stellte diesem eine kritische Frage. Eisiges Schweigen im Publikum bei den anwesenden Politikern/Journalisten etc. pp.; doch nach dem Ende des Empfangs sprachen ihn laut seiner Aussage zahlreiche Teilnehmende verstohlen an: Sie würden ihm vollkommen zustimmen, hätten sich aber nicht getraut, zu klatschen. Statt mitfühlende Worte zu finden, kritisierte er deren fehlenden Mut.

Denn wenn sogar Politiker und Journalisten noch nicht einmal wagen, öffentlich zu einer Meinung zu stehen, die sie für richtig erachten - was ist das dann für eine Freiheit? Es liegt an uns, diese Freiheit zu verteidigen und nicht z.B. die Themenvielfalt einschränken zu lassen oder etwas nur deshalb nicht zu sagen, weil es "den Falschen in die Hände spielen könnte".

Bei dem Buch hat mir sehr gut gefallen, dass der Autor in zig Richtungen kräftig "ausgeteilt" hat. Ein Beispiel: Abdel-Samad zitiert aus einem Schreiben eines Grünen-Landtagsabgeordneten, der ihn zur Abgrenzung von der "Werte-Union" aufforderte. Das wäre

"unbedingte Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit uns".

Erfreulicherweise zitiert Abdel-Samad im Buch auch seine Antwort. Daraus zitiere ich wiederum einige Sätze:

"...dankend lehne ich eine Zusammenarbeit mit Ihnen ab, bis Sie mir glaubhaft beweisen, dass Sie Demokrat sind: Wie können Sie es wagen, einem Schriftsteller einen Gesinnungstest zu unterziehen als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit ihm? (...) Ich bin ein freier Mensch und Schriftsteller und ich bestimme selbst, wo und mit wem ich rede. (...) Ich beobachte alle und kann alle kritisieren, brauche aber diese moralisierenden und ideologischen Stellungnahmen nicht. (...) Von einem Schriftsteller zu verlangen, sich von Ihren politischen Gegnern zu distanzieren, zeugt von Unfähigkeit, Überheblichkeit und Verachtung der demokratischen Debattenkultur. Und deswegen distanziere ich mich von einer Zusammenarbeit mit Ihnen!"

Donnerwetter und Hut ab. Nach dem Lesen dieser Antwort merke ich mir den Autoren als streitbaren Kämpfer für unsere Demokratie. Seine Ansichten teile ich nicht alle - aber damit bin ich wiederum bei ihm, denn wieso ist Respekt davon abhängig, dass man mit jemandem die vollständig gleichen Ansichten hat?

Klare Leseempfehlung von mir für:

Hamed Abdel-Samad: Aus Liebe zu Deutschland

Eine kostenlose Leseprobe finden Sie bei Interesse unter diesem Link

Michael Vaupel

"Fairness, Respekt vor Mensch und Tier sowie der gewiefte Blick für clevere Investment-Chancen - das lässt sich meiner Ansicht nach sehr wohl vereinen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Ansicht gemeinsam vertreten werden - auch gegen den Mainstream."

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