Eine Frage des Respekts
Nicht schlecht: Am Tower of London ist ein Blumenmeer entstanden. Hunderttausende rote Mohnblumen blühen dort. Nun, natürlich ist "blühen" nicht korrekt - denn es handelt sich um Mohnblumen aus Keramik. Und die "Hunderttausende" kann ich genauer beziffern: Es sollen exakt 888.246 Mohnblumen sein. Wie diese Zahl zustande kommt:
Dies ist die Zahl der im Ersten Weltkrieg gestorbenen Briten (inklusive Dominions, Kolonien). An jeden Einzelnen von ihnen soll eine dieser Mohnblumen erinnern.
Das drückt Respekt für und Erinnerung an die Toten von damals aus - und deshalb gefällt es mir. Ich musste da an einen anderen Toten aus dem Ersten Weltkrieg denken: Ein Franzose namens Lazare Ponticelli (gebürtiger Italiener). Ich hatte mich ein wenig mit seiner Biographie beschäftigt. Er war der letzte Überlebende französische Soldat des Ersten Weltkriegs, er starb vor einigen Jahren im Alter von 110 Jahren. Diese Generation von damals tickte durchaus anders als wir heute. Natürlich, es gab negative Seiten, in allen europäischen Nationen gab es Überheblichkeit insbesondere gegen außereuropäischen Nationen, Kriegstreiberei, etc. pp.
Aber es gab auch einen Idealismus und ein Ehrgefühl, welches uns heute fremd erscheint, welches ich aber anerkennenswert finde.
Kriegsinvalide (mit Eisernem Kreuz) als Bettler, im Jahr 1923. Quelle: Wikipedia
Eine Frage des Respekts
Ich habe diverse Kriegsbriefe gefallener Studenten gelesen und auch die Tagebucheinträge von Zeitzeugen des Ersten Weltkriegs. Da fanden sich im Deutschen Tagebucharchiv einige sehr interessante Tagebücher von einfachen Soldaten, Kriegsgefangenen, Krankenschwestern in Feldlazarett oder der Schwester eines Soldaten. Übrigens gibt es davon eine sehr interessante Auswahl, basierend auf dem Deutschen Tagebucharchiv, gerade erschienen: "Verborgene Chronik 1914", Galiani Verlag Berlin. Da wird ein Josef Glaser, Offizier in der österreichisch-ungarischen Armee, direkt 1914 von den Russen gefangen genommen. Er schildert in seinem Tagebuch, wie er in die Gefangenschaft nach Sibirien gebracht wird. Doch kein Vergleich zu den Zuständen im Zweiten Weltkrieg!
Als Offizier wird seinem Ehrenwort getraut, dass er keinen Fluchtversuch unternehmen wird. Dafür kann er ohne Bewachung die Stadt besuchen und im örtlichen Hotel speisen. Und Ehrenwort war Ehrenwort, man konnte einfach davon ausgehen, dass es gehalten wurde.
Oder nehmen wir Lazare Ponticelli. Er war französischer "Poilu", einfacher Soldat. Als im Niemandsland zwischen der Front zwei verwundete Soldaten lagen, rettete er unter Einsatz seines Lebens beide. Es waren ein französischer und ein deutscher Soldat. Es war nicht so, dass er nur "den eigenen" Verwundeten rettete. Für einen tapfer kämpfenden Feind gab es damals noch Respekt, in den Lazaretten lagen Franzosen und Deutsche zusammen.
Diese Generation von damals, welche ja übrigens auch Leib und Leben für das eigene Land riskierte, verdient Respekt. Ich habe den Eindruck, dass die damalige Entente da weiter ist als die damaligen Mittelmächte. So erhielt Lazare Ponticelli in Paris ein Staatsbegräbnis, und wie gesagt derzeit umgibt den Tower of London ein Meer von Hunderttausenden Keramik-Mohnblumen. Und in Berlin und Wien?
Zitat zum Feierabend:
„Achtung verdient, wer erfüllt, was er vermag“ - Sophokles