Neue Dostojewski Biographie
Als Jugendlicher dachte ich mir eine Zeitlang sinngemäß: Ich will meine Zeit nicht mit „dünnen“ Büchern verschwenden, warum nicht einige umfangreiche Klassiker lesen? Ich landete bei Dostojewski. „Der Idiot“, „Die Gebrüder Karamasow“, auch „Der Spieler“ habe ich verschlungen und sie berührten meine Seele.
Als ich vor kurzem auf eine Neuerscheinung Dostojewski – Eine Biographie stieß, machte ich mich interessiert an die Lektüre. Denn zur Person Dostojewskis wusste ich nicht viel, meine Neugier war geweckt. Diese neue Biographie von einem der besten deutschen Kenner von Dostojewskis Werk (der Autor Andreas Guski ist emeritierter Professor für Slawische Philologie) klang vielversprechend.
Und in der Tat, ich habe viel über die Biographie von Dostojewski gelernt und dadurch auch wieder Lust auf die Lektüre seiner Werke bekommen. Gewiss, ich hatte bereits vorher gewusst, dass Dostojewski zur Verbannung verurteilt worden war. Aber die Details seines Lebens wie die Verurteilung zum Tode und die Aufhebung des Todesurteils erst unmittelbar vor der – aus Schein – angesetzten Hinrichtung wären bereits selbst einen Roman wert.
Dostojewski in Dresden
Entsprechend freute es mich, dass sich die Biographie Dostojewskis phasenweise sehr spannend liest. Ein Beispiel: Als Dostojewski z.B. mit seiner zweiten Frau vor den Gläubigern in Russland regelrecht flieht und nach Dresden zieht – wie wird es ihm in Deutschland ergehen? Antwort: Nicht besonders gut; denn die Spielsucht treibt ihn weiter in Casinos, wo er z.B. das Reisegeld „verzockt“. Wer an der Börse spekuliert, kann sich in gewisse psychologische Details da durchaus gut hineinversetzen, finde ich.
Andererseits wird der Lesefluss des Öfteren gehemmt durch eine Vielzahl an Namen und Fachbegriffen. Wenn da zum Beispiel von der Intellektuellen-Gruppe der „Petraschewzen“ die Rede ist und diverse Mitglieder namentlich aufgeführt werden, zudem „Zirkel“ und Mitarbeiter von russischen Zeitschriften, dann habe zumindest ich recht schnell den Überblick verloren. Und die Verwendung von Begriffen wie „kenotisch“, „avant la lettre“, „fabula docet“ durch Prof. Guski hemmte meinen Lesefluss auch. Ich schlage solche Begriffe erst bei Wikipedia nach und lerne dadurch erfreulicherweise etwas, doch die Lektüre zieht sich in die Länge. Da bin ich dann eben doch kein klassischer Bildungsbürger. Gemäß Blick auf die aktuellen Nachrichten sind diese wohl – leider – ohnehin zu einer kleinen Minderheit geworden, doch das ist ein anderes Thema.
An dieser Biographie gefällt mir zudem, dass Prof. Guski auch Nebenaspekte unter die Lupe nimmt, die nicht zu seinem eigentlichen Fachbereich gehören. Ein kleines Beispiel: Als er schildert, wie Dostojewski Kleidung und Wertgegenstände verpfändet, findet sich in den Anmerkungen dazu der Verweis auf eine Ausgabe der „Zeitschrift für Bankengeschichte“, in welcher die Pfandleihe im 19. Jahrhundert als „Kreditinstitut der kleinen Leute“ genauer unter die Lupe genommen wird. Auch fiel mir in den Anmerkungen ein Verweis auf den von mir sehr geschätzten zeitgenössischen Autoren Thomas Kapielski auf. Ein Zeichen dafür, dass Prof. Guski (der mir bereits durch seine unaufgeregt-souveräne Art zu schreiben inklusive feinem Humor sympathisch ist) einen offenen Blick hat und sich nicht auf sein eigentliches Fachgebiet beschränkt.
Der Blick auf die Quellenlage
Was die Quellenlage betrifft, da kann Prof. Guski erfreulicherweise auf russischsprachige Quellen wie die Tagebücher von Dostojewskis zweiter Frau oder die Briefe von/an Dostojewskis Bruder Michail zurückgreifen. Gerade Quellen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren (wie private Aufzeichnungen seiner Frau) haben sich hier als sehr aufschlussreich erwiesen.
Angesichts der detaillierten Biographie mit den zahlreichen Anmerkungen glaube ich zu verstehen, warum der Autor folgendes Zitat aus einem Brief von Dostojewski seinem Werk voranstellt:
„Das alles wird mir, hoffe ich, an die fünfzehntausend Rubel einbringen – aber was ist das für eine Zuchthausarbeit!“
- Dostojewski an Katkow, 14.4.1865
Empfehle ich diese Biographie nun? Hier die typische Antwort eines Volkswirtes: Das kommt darauf an! Worauf? Ob Sie Dostojewski als Autor kennen und schätzen. Falls dies der Fall ist, dann kann ich Ihnen diese Biographie in der Tat nahe legen. Es handelt sich angesichts des Umfangs (rund 460 Seiten) und der beschriebenen Details allerdings um keine leichte Sommerlektüre.
Wer Dostojewski als Autor nicht kennt, aber grundsätzlich Interesse hat, sollte besser zunächst in eins seiner Bücher hineinlesen, ob das etwas für sie/ihn ist. Falls nicht, dann hat sich das Thema ohnehin erledigt. Falls doch, dann die Empfehlung:
Mit bestem Gruß!
Ihr
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt
Und noch ein Zitat:
Was heißt liberté? Freiheit. Was für eine Freiheit? Die gleiche Freiheit für alle, in den Grenzen der Gesetze alles Beliebige zu tun. Wie kann man alles Beliebige tun? Wenn man eine Million besitzt. Wann besitzt man eine Million? Gibt die Freiheit jedem eine Million? Nein. Was ist ein Mensch ohne eine Million? Ein Mensch ohne eine Million ist nicht der, der alles Beliebige tut, sondern mit dem alles Beliebige getan wird.” - Gelesen in „Schuld und Sühne“