Rezension: Die hohe Kunst des Alterns
Da jede(r) von uns bekanntlich früher oder später mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert wir, machte mich die Neuerscheinung Die hohe Kunst des Alterns von Otfried Höffe neugierig. Auch deshalb, weil ich neulich mit einem ca. 80jährigen Geschäftsmann zu tun hatte, der mich beeindruckt hat. Er mag körperlich nicht mehr der Fitteste gewesen sein, aber wie bewandert er in seinem Fachgebiet war, über was eine Bandbreite an Themen ich mich mit ihm unterhalten konnte und was für eine Ausstrahlung er hatte...so möchte ich auch einmal mit 80 sein, war ein Gedanke meinerseits.
Übrigens denke ich bei diversen Problemen gelegentlich darüber nach, was mein Großvater (er ruhe in Frieden) in seiner ruhigen, durchdachten Art wohl dazu sagen würde.
Doch konkret zu Die hohe Kunst des Alterns. Es handelt sich um keinen praktischen Ratgeber, sondern um die Gedanken eines Philosophen zu dieser Thematik. An dem Buch gefallen mir einige Dinge. So stellt der Autor zunächst klar, dass es doch ein beachtlicher Erfolg ist, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten ca. 160 Jahren verdoppelt hat. Dies lässt sich nun im öffentlichen Diskurs als "Überalterung der Gesellschaft" negativ darstellen - oder als Betonung von "gewonnenen Jahren" positiv.
Ein höheres Durchschnittsalter einer Gesellschaft muss keineswegs zu "Nullwachstum" und Rentenproblemen führen. Die derzeitige Mainstream-Ansicht, die alte, weiße Menschen eher als Belastung ansieht, geht mir gewaltig gegen den Strich. Insofern freute ich mich, als der Autor meine Lieblings-Hass-Seite "bento" zitierte, wo eine Jungautorin ihm zufolge schrieb: "Liebe Generation Rollator, macht mir mein Europa nicht kaputt."
Der Autor setzt einige Dinge in Relation - wie z.B. die Altersobergrenze für Arbeit. Das sei eine relativ neue Entwicklung, über Jahrhunderte hinweg sei es eher um eine Altersuntergrenze gegangen (ab wann bestimmte öffentliche Ämter besetzt werden können z.B.). Auch die Dreiteilung - Jugend lernt, mittleres Alter arbeitet, Ältere im Ruhestand - sieht er als keineswegs optimal. So sollten auch die Älteren weiterhin lernen, arbeiten und Ruhe genießen - weshalb er z.B. für ermäßigte Arbeitszeiten für Ältere plädiert.
Hier gilt es natürlich nach Berufen zu differenzieren. Aber warum soll ein Lehrer oder Hochschullehrer nicht auch noch im höheren Alter unterrichten, dann eben weniger Wochenstunden? Denn wer - Zitat "einer Berufstätigkeit mit Leib und Seele nachgeht, (erfährt) ein hohes Maß an Lebenslust, sogar Glück."
Jeder möchte alt werden, aber niemand möchte alt sein? Der Autor zitiert den von mir geschätzten Eugen Roth mit ironischen Versen:
Ein Mensch schaut in der Straßenbahn
der Reihe nach die Leute an:
Jäh ist er zum Verzicht bereit
auf jede Art Unsterblichkeit
Was mir ebenfalls gefällt, ist das Anprangern der entleerten ökonomischen Sprache. Zwei Beispiele: "Effizienzpakt" steht für Kostenstopp. "Redundant machen" für kündigen. Angestellte in Pflegeheimen gelten nicht mehr als Mitarbeiter(innen), sondern als Kostenfaktor, der möglichst gering gehalten werden soll.
Natürlich gilt es, ökonomische Faktoren zu beachten. Aber diese sollten beim Thema Alter doch nicht den Diskurs bestimmen.
Soweit, so gut und interessant.
Was mir hingegen an diesem Buch nicht gefällt:
Der Autor hatte offnsichtlich das Gefühl, als Leiter einer Forschungsstelle Politische Philosophie das Thema auch in der Geschichte der Philosphie und Literatur zu behandeln. Angesichts der Kürze des Buches führt dies aber dazu, dass der Autor regelrecht durch diese Thematik hetzt. Francis Bacon, der Theologe Johann Valentin Andrae, Jonathan Swift, Rudolf Alexander, Natalia Ginzburg...das ist nur ein Beispiel für diejenigen Personen, die auf einer (!) Buchseite zu dem Thema aufgeführt werden. Das gefällt mir überhaupt nicht, so durch die Literatur- und Philosophie-Geschichte zu springen. Weniger wäre hier mehr gewesen, so meine unmaßgebliche Ansicht. Da dies für einen bedeutenden Teil des Buches gilt, blieb bei mir nach der Lektüre von Die hohe Kunst des Alterns ein zwiespältiger Eindruck.
Mit herzlichem Gruß!
Ihr
Michael Vaupel
Und zu dem Thema noch ein kleines Gedicht von Wilhelm Busch:
Auch uns, in Ehren sei's gesagt,
Hat einst der Karneval behagt,
Besonders und zu allermeist
In einer Stadt, die München heißt.
Wie reizend fand man dazumal
Ein menschenwarmes Festlokal,
Wie fleißig wurde über Nacht
Das Glas gefüllt und leer gemacht,
Und gingen wir im Schnee nach Haus,
War grad die frühe Messe aus,
Dann können gleich die frömmsten Frau'n
Sich negativ an uns erbau'n.
Die Zeit verging, das Alter kam,
Wir wurden sittsam, wurden zahm.
Nun sehn wir zwar noch ziemlich gern
Die Sach' uns an, doch nur von fern
(Ein Auge zu, Mundwinkel schief)
Durchs umgekehrte Perspektiv.
-
Wilhelm Busch