„Ein trauriges Fiasko“

„Ein trauriges Fiasko“

Ich erinnere mich, als während des Studiums ein Geschichtsprofessor die These vertrat: Als Historiker sollten Sie kein Vaterland haben!

Seine Aussage war ein Plädoyer für Wahrhaftigkeit und den Willen, die Wahrheit zu ergründen (sofern es objektive Wahrheit beim jeweiligen Thema überhaupt gibt). Und dies, ohne voreingenommen im Hinblick auf eine Nationalität zu sein. Ich habe versucht, in meinem Leben diese Aussage zu berücksichtigen.

Das fiel mir wieder ein, als ich mich in den vergangenen Wochen mit dem Thema Aufstände in Deutsch-Südwestafrika 1904-1908 beschäftigte.

Bei der Lektüre von entsprechenden Abhandlungen zu dem Thema fiel mir auf, dass die Autoren jeweils eine klare Position vertreten. Da gibt es natürlich die beiden Extrempositionen: Die eine besagt, dass die damaligen Kriegsgefangenenlager 1904-1908 ein direkter Vorläufer von Ausschwitz waren.

Und dann gibt es die andere Position, welche sinngemäß besagt, da sei nichts Schlimmeres passiert als in anderen Kolonien anderer Kolonialmächte...andere seien noch schlimmer gewesen, man schaue nur auf Belgisch-Kongo etc. pp.

Nun bin ich zu dem Thema Herero-Aufstand gewiss kein Experte. Allerdings habe ich mich durchaus mit der Kolonialgeschichte Deutsch-Südwestafrikas befasst und darüber auch ein Buch publiziert (mehr dazu hier).

Damals war ich wenig daran interessiert, aus vorhandener Sekundärliteratur Dinge zusammen zu suchen und so ein neues Buch zu schreiben. Stattdessen machte ich mich auf die Suche nach Primärquellen und reiste deshalb nach Windhoek (National Archives Namibia), Freiburg (Militärarchiv) und Berlin (Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde). Was man eben so tut, wenn man jung und ungebunden ist.

Als ich das Buch von Jonas Kreienbaum "Ein trauriges Fiasko" - Koloniale Konzentrationslager im südlichen Afrika 1900-1908 las, schaute ich mir deshalb zunächst die Quellen an. Hauptsächlich Sekundärliteratur?

Mitnichten! Herr Kreienbaum besuchte auch die von mir besuchten Archive. Es finden sich in den Quellenangaben außerdem weitere Primärquellen, zum Beispiel aus dem Archiv der Evangelischen Mission oder aus dem Archiv der "Evangelical-Lutheran Church in the Republic of Namibia". Da es in dem Buch auch um die Situation in Südafrika geht, finden sich auch Primärquellen aus den "National Archives London" oder die sogenannten "Milner Papers".

Milner? Nun, das im Buchtitel genannte Zitat "Ein trauriges Fiasko" ist der übersetzte Teil eines Zitats des damaligen britischen High Commmissioner Sir Alfred Milner im Jahr 1901 an den liberalen Politiker Richard Haldane. Er bezieht sich damit auf das Massensterben in den Konzentrationslagern in Südafrika während des Buren-Krieges.

 

Ein Teil des Inhaltsverzeichnisses. Quelle: Verlagsangaben

Und das ist direkt eine Stärke des Buchs: Es setzt die Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika 1904-1908 in einen passenden Kontext. Denn "Konzentrationslager" - dieser Begriff ist für uns Kinder des 20. Jahrhunderts leider mit Auschwitz verknüpft. Wer liest, dass es in Deutsch-Südwestafrika Konzentrationslager gab, schluckt deshalb vielleicht erstmal ob solcher scheinbaren Vernichtungslager.

Doch Konzentrationslager hatten damals eine durchaus andere Bedeutung. Im Burenkrieg und auch bereits davor (im 19. Jahrhundert auf Kuba, etwas später auf den Philippinen) waren damit Lager gemeint, in welchen die Bevölkerung von Aufstandszonen "konzentriert" wurde. Das sollte verhindern, dass sich Insurgenten quasi wieder Fisch im Wasser unter der lokalen Bevölkerung bewegen konnten.

Im Burenkrieg wurde das mit einer Politik der verbrannten Erde verknüpft. So sollten den Aufständischen die Grundlagen für ihre Guerilla-Kriegführung entzogen werden.

Jonas Kreienbaum legt den Schwerpunkt seines Buches auf die Untersuchung der Situation in Südafrika zur Zeit des Burenkrieges (genauer gesagt: Der Zweite Burenkrieg 1899-1902) und in Deutsch-Südwestafrika der Jahre 1904-1908. Dabei geht er systematisch Punkte wie die Versorgungslage, Funktionsweise der Lager und soziale Beziehungen und Handlungsspielräume durch.

Er regt auch dazu an, sich in die damalige Zeit hineinzuversetzen. Dazu gehört auch, sich zum Beispiel mit dem damaligen medizinischen Wissensstand zu beschäftigen. So war zum Beispiel Medizinern vor Ort noch keineswegs klar, ob Skorbut eine Infektionskrankheit ist. Viele Todesfälle gehen auf Skorbut in den Lagern in Deutsch-Südwestafrika zurück. Es gab einzelne sadistische Aufseher - aber keine offizielle Vernichtungspolitik für die Kriegsgefangenenlager.

Das wird in den Kontext zum Beispiel mit der Proklamation des damaligen Oberbefehlshabers, des unseligen Lothar von Trotha, gesetzt. Aber auch der Befehl des damaligen Reichskanzlers, die Proklamation zurückzunehmen und dessen Intervention gegen die schändliche Politik Trothas werden thematisiert.

Es bleiben bei mir ein auszgeichneter Eindruck von der Recherchequalität Kreienbaums und viele Erkenntnisse zur Thematik. So sollte ein Historiker arbeiten und seine Ergebnisse präsentieren. Erfreulich unaufgeregt, sachlich und gut verständlich geschrieben mit zahlreichen Quellenangaben - für historisch Interessierte klar lesenswert:

Jonas Kreienbaum: "Ein trauriges Fiasko" Koloniale Konzentrationslager im südlichen Afrika

Eine kostenlose Leseprobe in Form einer PDF-Datei finden Sie bei Interesse unter diesem Link.

Angenehme Lektüre!

Ihr

Michael Vaupel

Diplom-Volkswirt / M. A.

Michael Vaupel

"Fairness, Respekt vor Mensch und Tier sowie der gewiefte Blick für clevere Investment-Chancen - das lässt sich meiner Ansicht nach sehr wohl vereinen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Ansicht gemeinsam vertreten werden - auch gegen den Mainstream."

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Ein Gedanke zu “„Ein trauriges Fiasko“

Gerd RibbinkGeschrieben am  6:18 pm - Jan 15, 2022

Betr. Rezension Buch Kreienbaum.
Lieber Herr Vaupel,
Sie haben mich neugierig auf das Geschichtsbuch gemacht. Wenn ich zu Hause bin werde ich es lesen.
Unpassend in Ihrer Rezension erscheint mir der Satz am Ende: angenehme (?) Lektüre (bei dem Thema).
Ich wünsche Ihnen ein wirklich angenehmes Wochenende heute aus dem kalten Abend in Oregon.
Ihr Gerd Ribbink

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