Élises Geheimnis
Wenn ich die Zeit finde, lese ich durchaus gerne mal ein größeres Familien-Epos - beziehungsweise Gesellschaftsroman. Ich nenne da nur Klassiker wie die Buddenbrooks von Thomas Mann oder "Der Idiot" oder "Die Brüder Karamasov" von Fjodor Dostojewski.
Ich bin froh, diese Klassiker bereits in meiner Studentenzeit gelesen zu haben - da war noch Zeit für solche "Schinken" mit über 1.000 Seiten...
Sie können sich denken, dass ich das nicht erwähnen würde, wenn es keinen Bezug zu diesem Beitrag hätte. Und den hat es:
Denn neulich habe ich wieder einmal ein Familien-Epos gelesen. Einen historischen Roman, Neuerscheinung, dessen Klappentext mich neugierig gemacht hatte. Denn da soll es um eine Familiengeschichte von den 1940ern bis in die 1960er gehen, hauptsächlich in Frankreich. In erster Linie geht es dabei um eine große Liebesgeschichte, die gewissermaßen zur falschen Zeit am falschen Ort spielte...
Kurz war ich abgeschreckt - ein Liebesroman ist grundsätzlich nichts, mit dem man mich von Monitor, Familie oder Sport weglocken könnte.
Doch ich bin froh, diese Neuerscheinung Élises Geheimnis gelesen zu haben. Denn es handelt sich
- um eine gut geschriebene Geschichte
- die keineswegs in plumpe "gut-böse" Schemata verfällt, sondern Grautöne zeichnet
- Zudem hat mich die Lektüre zur Recherche über die damalige Zeit gebracht
Das Buch beginnt in den 1960ern, in der schönen Bretagne. Ein junges französisches Mädchen, das ohne Vater aufgewachsen ist, stößt bei Fragen nach selbigem auf Ausflüchte und Schweigen bei ihrer Mutter.
Sie beginnt, selbst zu recherchieren, und entdeckt, dass ihr Vater ein deutscher Besatzungssoldat im Paris der Jahre 1944/1945 war.
Soweit das "Setting". Mehr möchte ich an dieser Stelle inhaltlich nicht verraten.
Zum Aufbau kann ich sagen, dass diese Geschichte aus mehreren Blickwinkeln erzählt wird, was mir sehr gut gefallen hat. Und so nebenbei habe ich zum damaligen Pariser Stadtkommandanten von Choltitz recherchiert, doch das nur am Rande.
Die Autorin versteht es, eine gute Geschichte vor historischem Hintergrund zu erzählen. Sie zeichnet die Dilematta der Handelnden auf - was ist richtig, was ist falsch...und was, wenn es gar kein richtig gibt?
Eine kostenlose Leseprobe finden Sie bei Interesse unter diesem Link.
Es ist wichtig, dass Geschichten über den Zweiten Weltkrieg gelesen werden, damit wir verhindern können, dass so etwas jemals wieder passiert.
- die Autorin Ruth Druart
*** Und noch ein Lesetipp,
...in dem es auch über eine Geschichte geht, die sich über mehrere Generationen erstreckt...
...hierbei handelt es sich allerdings um ein anderes Genre, nämlich einen waschechten Krimi. Bei der Lektüre hatte ich zwischenzeitlich das Gefühl, mich hierbei mit einen verschriftlichten "Film noir" zu beschäftigen - was ich als Kompliment meine.
Dazu trägt bereits ganz profan das Umfeld bei: Island im Winter. Und dann der Protagonist, ein Polizist, der frisch im Ruhestand ist und gewissermaßen mit den Dämonen seiner Vergangenheit konfrontiert wird.
Und - ganz nebenbei - mit Problemen in seinem privaten Umfeld...
Der Titel "Wand des Schweigens" trifft es ganz gut, wie er zunächst mit seinen Recherchen zu einem lange zurückliegenden Fall weiterkommt...und wie er selbst teilweise unfähig ist, über eigenes Versagen zu sprechen oder es auch nur einzugestehen...
Wie ich erst während der Lektüre erfahren habe, gibt es eine ganze Reihe von inzwischen vier Büchern um den Protagonisten, den Kommissar-Konráð.
Die Bände sind aber in sich abgeschlossen,
...so dass ich diesen Band ohne Verständnisprobleme mit Lesegenuss beenden konnte.
Und so ganz nebenbei habe ich etwas über die Geographie Islands gelernt, da das Buch eine Karte der Hauptstadt Reykjavik und eine Karte des gesamten Landes enthält.
Leider vermisste ich bei der Stadtkarte, dass die im Buch erwähnten Orte dort eingezeichnet sind.
Doch das ist Jammern auf hohem Niveau. Ein spannender Krimi mit überzeugendem Setting und einer schnörkellosen, überzeugenden Schreibweise.
Fazit: Meinerseits ein klares Daumen hoch für...
Eine Leseprobe in Form einer PDF-Datei finden Sie bei Interesse unter diesem Link.
Angenehme Lektüre!
Ihr
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt / M.A.