Rückblick Hauptversammlungen 2020

Rückblick Hauptversammlungen 2020

Natürlich waren auch Veranstaltungen wie die Hauptversammlungen (HVs) von Aktiengesellschaften - in der Schweiz Generalversammlungen genannt - von den Einschränkungen der Coronavirus-Pandemie betroffen.

In Deutschland ermöglichte eine am 28. März 2020 in Kraft getretene Regelung die Abhaltung von virtuellen Hauptversammlungen. Grundlage ist das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“, auch kurz „Covid-19 Gesetz“ genannt.

In der Praxis führte das dazu, dass der Großteil der HVs 2020 in Deutschland in virtueller Form stattfand.

Es gab indes einige Hauptversammlungen kleinerer Aktiengesellschaften mit physischer Präsenz. Der Autor dieses Beitrags war selbst bei einigen dieser Veranstaltungen (HVs von Arn. Georg, Invision, GUB…). Diese Veranstaltungen liefen traditionell ab, wobei natürlich auf Mindestabstände und Handdesinfektion am Eingang geachtet wurde. Auf Verpflegung wurde jeweils zum Leidwesen der Aktionäre verzichtet.

Kuchenbuffett noch bei einer HV im Jahr 2019 - im Jahr 2020 diesbezüglich "Fehlanzeige" bei den virtuellen HVs und auch bei den von mir besuchten Präsenz-HVs, da da auf Bewirtung verzichtet wurde.

Bei den virtuellen HVs zeigte sich ein sehr unterschiedliches Bild.

Meinem Eindruck zufolge hing sehr viel davon ab, welchen Stellenwert Vorstand und Aufsichtsrat der jeweiligen Aktiengesellschaft grundsätzlich den Aktionären/innen einräumen.

Ein Extrembeispiel mögen Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Aktiengesellschaft sein, die dem Autoren vertraulich mitteilten, sie seien froh über die virtuelle HV – da auf diese Weise die Aktionäre „weniger nerven“ würden, wie es hieß. Pikant dabei, dass besagtes Unternehmen im Nachhaltigkeits-Universum unterwegs ist. Die Außendarstellung steht da in Diskrepanz zur tatsächlichen Lage.

Denn das Covid-19 Gesetz ermöglicht bei der Durchführung virtueller HVs in der Tat Spielraum für die Verwaltung. So können Aktionäre zwar Stimmrechte ausüben und Widerspruch zu Protokoll geben, wie in einer „normalen“ HV in der guten alten Zeit auch.

Doch besonders beim Thema Fragerechte gab es teilweise bedeutende Unterschiede. Denn bei virtuellen HVs wurde üblicherweise ein Termin einige Tage vor der Veranstaltung genannt, bis zu dem Fragen eingereicht werden konnten. Der Vorstand konnte diese Fragen dann nach seinem freien Ermessen beantworten. Das bedeutete auch, dass manche Fragen unter den Tisch fielen bzw. sinngemäß zu größeren Frageblöcken zusammengefasst wurden.

Keine Schnittchen bei virtuellen HVs (das Foto stammt von der 2020er KAP HV)

Die Folge war, dass die virtuellen HVs in der Regel deutlich schneller abgewickelt wurden. Der Nachteil war, dass dies auf Kosten dessen ging, was als Herzstück der freien Aktionärsdemokratie bezeichnet werden kann: Die Generaldebatte.

Katholischer Orden mit Gegenantrag bei Tesla

Dass so manch ein kritischer Aktionär auch in Zeiten der virtuellen HVs die eigenen Aktionärsrechte zu wahren wusste, konnten wir z.B. in den USA sehen. Dort wurde bei der HV von Tesla ein Gegenantrag der "Sisters of Good Shepherd New York Province". Katholische Nonnen mit einem Gegenantrag bei der Tesla Hauptversammlung? Genau so war es.

Der Gegenantrag ("item 7") behandelte das Thema Menschenrechte ("human rights"). Dem Gegenantrag wurde eine Redezeit von 4 oder 5 Minuten eingeräumt. Und dann ging es los: Laut den Nonnen besteht da bei Tesla erheblicher Verbesserungsbedarf. In einer Gigafactory in New York ("Giga New York") würden Arbeiter abgeschreckt, einer Gewerkschaft beizutreten. Die Arbeiter/innen seien Covid 19 ausgesetzt und bekommen Probleme, wenn sie größeren Schutz möchten. (Die Nonnen haben ihren Sitz im Staat New York, es klingt so, als ob sie Informationen über die Situation in der entsprechenden Giga Faktory haben).

Und dann "global supply chain" - weltweite Lieferkette von Tesla. Hier thematisierte der Gegenantrag der Nonnen den Punkt Kobalt aus der Demokratischen Republik Kongo. Zu dem Thema kenne ich mich auch ein wenig aus, da ich zu Kobalt für mein Buch "Strategische Metalle für Investoren" recherchiert hatte und selbst an der Grenze zum Kongo stand (mich aber aus Sicherheitserwägungen nicht reintraute). Insofern ist mir die Thematik der Lieferkette bei Kobalt bewusst.

Hier sprach der Antrag der Nonnen Tacheles: Tesla nutze Kobalt, dass dort im Kongo durch Kinderarbeit gewonnen wird. Ein Sprecher der Nonnen erläuterte, dass er persönlich kleine Jungen getroffen hat, die Gliedmaßen verloren oder paralysiert waren - durch den Einsturz von Tunneln.

"Simply not true!"

Tesla gebe an, Null Toleranz für Kinderarbeit zu haben. Das sei "simply not true", einfach nicht wahr. Hier wurde Tesla also Lüge oder Unkenntnis vorgeworfen. Laut dem Gegenantrag toleriert Tesla diese Missstände.

Und dann ging es weiter: Sofern Elon Musk das Thema wichtig sei, dann könne er mit seinem innovativen Geist doch bessere Lösungen finden als eine nutzlose Lieferkettenpolitik auf dem Papier ("useless paper policy"). Konkret:

Wenn Tesla es ernst meint mit der "Null Toleranz für Kinderarbeit" - wie wäre es dann mit dem Einsatz von Satelliten oder Drohnen, um zu überwachsen, dass keine Kinderarbeit erfolgt in Minen, aus denen Tesla Kobalt bezieht?

Die Reaktion des Tesla-Boards war lakonisch: Das Board von Tesla empfehle, den Gegenantrag abzulehnen, so sinngemäß das kurze Statement.

Der Blick auf die Abstimmungsergebnisse zeigte dann, dass der Gegenantrag der Nonnen dennoch immerhin 27.524.596 JA-Stimmen erhielt. Da jede Tesla-Aktie eine Stimme hat, haben die Aktionäre für entsprechend viele Aktien dem Gegenantrag der Nonnen zugestimmt.

Das reichte indes nicht, denn es gab 81.039.674 NEIN-Stimmen. Dennoch finde ich, dass dies ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist, wie Aktionärsrechte auch in Zeiten der Coronavirus-Pandemie ausgeübt werden können.

Michael Vaupel

"Fairness, Respekt vor Mensch und Tier sowie der gewiefte Blick für clevere Investment-Chancen - das lässt sich meiner Ansicht nach sehr wohl vereinen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Ansicht gemeinsam vertreten werden - auch gegen den Mainstream."

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