Stoffgeschichten: Uran
Es gibt beim Oekom Verlag mit Sitz in München eine - wie ich finde - höchst interessante Reihe namens "Stoffgeschichten". Jeder Band dieser Reihe ist einem der "Stoffe, die unser Leben prägen", gewidmet. Und zwar geht es da jeweils um einen dieser Stoffe, die dann unter mehreren Aspekten behandelt werden - und das in populärwissenschaftlicher Weise, d.h. auch für Laien gut lesbar.
Finde ich gut. Einige der Bände dieser Reihe Stoffgeschichten habe ich auch hier im Blog vorgestellt:
Band Sand (habe ich verschlungen, spannend wie ein Krimi!)
Als ich sah, dass vor einigen Monaten ein neuer Band der Reihe zu "Uran" erschienen ist, las ich auch diesen Band. Hier meine Anmerkungen dazu:
Der Band zu Uran begann, wie ich es bei Bänden der Reihe kenne und schätze. Zunächst einmal werden die Grundlagen der Entdeckung und Geschichte des entsprechenden Elements erläutert. Interessanterweise erfuhr ich so, dass Uran bereits in vorindustrieller Zeit als Rohstoff genutzt wurde - doch "nur", um Gläser zu bemalen. Es waren der clevere Henri Becquerel und die großartige Marie Curie, welche die Radioaktivität entdeckten und in dem Buch entsprechend gewürdigt werden.
Und erfreulicherweise werden in der ersten Hälfte auch die Unterschiede zwischen den drei verschiedenen Uran-Isotopen Uran-238, Uran-235 und Uran-234 erkärt - sehr verständlich. Chapeau!
Interessant und gut aufbereitet fand ich das dann folgende Kapitel "Uranbergbau im Niger". Ich habe Horchposten in Afrika und weiß, wie der dortige Ressourcenabbau vor Ort Probleme schaffen kann - und auch Ungerechtigkeiten.
Denn wenn die Bevölkerung vor Ort vom Ressourcenreichtum des eigenen Landes kaum profitiert bzw. sogar Nachteile erleidet (Abraumhalden etc. pp.), dann finde ich das schlicht und einfach ungerecht. Insofern fand ich es gut, dass auch der Rohstoff-Abbau in diesem Buch thematisiert wird.
Dabei fiel mir allerdings eine gewisse Inkonsequenz des Autors auf. So war nach wenigen Zeilen klar, dass er die Konzerne, die im Niger Uran abbauen, als "die Bösen" sieht. Er begründet dies auch ausführlich.
Inkonsequent allerdings deshalb, weil er in einem Interview einen Bergarbeiter/Aktivisten aus Niger zu Wort kommen lässt, der sich beschwert, weil es nach der Schließung einer Uran-Mine negative wirtschaftliche Konsequenzen vor Ort gab. Da stehen "Menschen auf der Straße". Und nicht zu knapp: Laut der Aussage des Bergarbeiters/Aktivisten hat jeder Arbeiter dort "im Durchschnitt zwei Frauen und von jeder Frau acht Kinder". Hier kommt der Autor nicht auf die Idee, dass vielleicht dieses explosive Bevölkerungswachstum mit ein Grund für die wirtschaftlichen Probleme vor Ort sein könnte...
Einschub: Im Jahr 1950 hatte der heutige Staat Niger ca. 2 Mio. Einwohner - heute sind es über 26 Mio. Einwohner, Tendenz weiter stark steigend.
(Quelle: Mein dtv Taschenatlas Völker und Sprachen und der Wikipedia-Eintrag zu Niger)
Nach dem Kapitel zu Niger fiel mir eine immer stärker werdende Tendenz des Autoren zu einer äußerst einseitigen Sichtweise auf. Seine Intention, die Atomenergie negativ darzustellen, war offensichtlich. Das an sich ist ja durchaus legitim, da der Autor mit offenen Karten spielt:
Der Klappentext macht kein Geheimnis daraus, dass der Autor Horst Hamm der geschäftsführende Vorstand der "Nuclear Free Foundation" ist. Ein "Pro Uran" hätte ich da natürlich ohnehin nicht erwartet.
Was ich aber erwartet hätte, wäre eine zumindest halbwegs ausgewogene Darstellung von Chancen und Risiken der Atomenergie. Das fehlt hier aber auffällig.
Ein Beispiel: Während die zahlreichen Störfälle und Unfälle zum Thema Uran - zu Recht - thematisiert werden, geht der Autor über die möglicherweise Chancen im Bereich Atomenergie geradezu auffällig oberflächlich hinweg.
Konkretes Beispiel: Die "Molten Salt Fast Reactors", die statt Uran mit Thorium als Brennstoff arbeiten sollen - die "Atomreaktoren der vierten Generation". Ich hatte dazu bei Arte eine Dokumentation gesehen, die Thorium durchaus als Hoffnungsträger darstellte. Insofern interessierte mich das Thema.
Und was teilt der Autor dazu mit?
Er räumt ein, das seien "alles schöne Versprechungen". Doch er schränkt umgehend ein: "Selbst wenn einzelne Prognosen richtig sein sollten: Vor dem Jahr 2060 werden die Reaktoren der vierten AKW-Generation nicht verfügbar sein (...)".
Das ist für ihn Grund genug, dieses Thema nicht weiterzuverfolgen, denn: "Die Klimafrage ist bis dahin längst entschieden". Thema erledigt.
Der Autor widmete sich dafür lieber umso ausführlicher Themen wie diesem: Eine Demeter-Hofgemeinschaft baue landwirtschaftliche Güter unter PV-Anlagen an, wodurch die Flächennutzung optimiert werde. Auch das Thema Geothermie und Fernwärme wird behandelt (was mit dem eigentlichen Thema des Buches "Uran" wohl kaum etwas zu tun hat). Das zeige, dass die Welt keine Atomenergie brauche, so der Autor sinngemäß.
Ich hielt bei der Lektüre inne: Meiner Ansicht nach hatte der Autor zumindest in der zweiten Hälfte des Buches sein "Thema verfehlt". Denn ich las schließlich ein Buch, in dem es um das Element Uran gehen soll.
Und außerdem halte ich es so, wie ich es einmal sinngemäß bei Sebastian Haffner las:
Ruhige Skepsis hat auf mich immer überzeugender gewirkt als Pathos.
Noch zwei sachliche Anmerkungen: Im Buch findet sich auf S. 105 die Angaben, dass in Namibia die Uranmine "Klein Trekkopje" "schon vor Jahren stillgelegt" worden ist. Und auch die Produktion der namibischen Uranmine "Langer Heinrich" sei seit 2018 eingestellt. Da ich mich vor Ort etwas auskenne, möchte ich dazu den aktuellen Stand der Dinge mitteilen. Denn:
Das Buch wurde Anfang 2023 geschrieben - so schnell können sich die Dinge ändern: Nachdem der Uranpreis 2023 deutlich gestiegen war, wurde die Produktion bei den genannten Minen wieder hochgefahren. So soll die Mine "Langer Heinrich" laut Angaben des Betreibers seit dem 30. März 2024 wieder Uran fördern.
Insofern ein äußerst gemischtes Fazit meinerseits für:
Horst Hamm: Das unheimliche Element (Stoffgeschichten "Uran")
Eine kostenlose Leseprobe in Form einer PDF-Datei finden Sie bei Interesse unter diesem Link.
Mit herzlichem Gruß!
Ihr
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt / M.A.