Kommissar Gennat ermittelt
Kennen Sie das? Die eigene Liste an Bücher, die gelesen werden wollen, wächst schneller als die zur Verfügung stehende Zeit.
Ich persönlich bemühe mich, mindestens ein Buch die Woche zu lesen und dabei möglichst zwischen Sachbuch und "Unterhaltung" abzuwechseln.
Wobei mich auch Sachbücher vorzüglich unterhalten können - so sie denn auch gut geschrieben sind. Wie Sie sich denken können, erwähne ich hier in meinem Blog eher die positiven Beispiele - über die negativen breite ich lieber den Mantel des Schweigens. Und solch ein schlechtes Buch mag auch Vorzüge haben - wie den, niemanden zu überfordern...
Doch heute möchte ich Ihnen ein äußerst vorzügliches Buch vorstellen. Und das kam so:
Als Berlin-Liebhaber (die disfunktionalen Seiten der Stadt bereiten meiner Seele allerdings manchmal etwas Kummer) hatte ich voriges Jahr einmal in die Serie "Babylon Berlin" hineingeschaut.
Das Setting - Kriminalfälle im Berlin der 1920er - fand ich ansprechend, das historische Flair kam auch gut rüber. Doch irgendwann wurde mir die Handlung zu "abgedreht". Das nur am Rande.
Denn "Babylon Berlin" wiederum machte mich auf das zugrunde liegende Buch "Der nasse Fisch" von Volker Kutscher aufmerksam. Und dieses Buch wiederum auf den damaligen Leiter der Mordkommission Kommissar Gennat. Und dieser existierte anders als die Protagonisten von Buch und Serie tatsächlich - eine waschechte historische Persönlichkeit.
Ich "recherchierte" selbst - und zwar nach weiteren Informationen zu diesem Kuchen essenden Leiter der Mordkommission. Und erfreulicherweise bin ich dabei auf dieses Buch gestoßen:
Kommissar Gennat ermittelt: Die Erfindung der Mordinspektion
Die Autorin Regina Stürickow hat in dem Buch äußerst gut lesbar Informationen zu diesem erfolgreichen deutschen Kriminalisten der Weimarer Republik zusammengetragen. Und nicht nur das: Sie hat in Archiven recherchiert und das Buch ist erfreulicherweise mit rund 100 Abbildungen ausgestattet, und das bei einem Umfang von gut 200 Seiten.
Sie schafft es äußerst gut, zum einen uns Lesern den Menschen Gennat näher zu bringen. Dieser war mir auf Anhieb sympathisch. Mit Verständnis für "kleine Ganoven", die in den Berliner Mietskasernen aufgewachsen waren - oft genug überführte er Kriminelle durch seine scheinbar zwangslosen Plaudereien, wobei den Kriminellen ungewollt wichtige Informationen entschlüpften.
(Exkurs: Seine beschriebene Art erinnerte mich übrigens an die Interviews im "Plauderton" des von mir sehr geschätzten Journalisten Wolfgang Koruhn, er ruhe in Frieden - hier ein Beispiel, wie er Informationen "herauskitzelte").
Und dann zeichnet die Autoren auch ein äußerst stimmiges Bild der damaligen Zeit. Stichwort: Sozialgeschichte der Stadt Berlin, Bevölkerungsexplosion, prekäre Wohnverhältnisse, Tatortfotos...
Und erfreulicherweise war Kommissar Gennat von 1904 bis Anfang der 1930er im Amt...sprich, in seiner Zeit änderte sich auch zwei Mal die Staatsform...
Auch die scheinbar gute alte Zeit im Kaiserreich war keineswegs immer so gut, wie es nachträglich verklärend scheint - nach dem, was die Kriminalitätslage der Stadt Berlin vor 1914 hergibt.
Das Buch schafft es, in die damalige Zeit und in die Ermittlungen der damaligen Mordkomission regelrecht hineinzuziehen. Nach der Einleitung schildert die Autorin konkrete damalige Fälle.
"Tod im Stundenhotel", "Der Geschwistermord von Breslau", "Die Sache mit Charly"...
...was etwas reißerisch klingt, ist durchaus auch reißerisch in dem Sinne, dass "man" es unbedingt lesen möchte. Doch es ist keine Räuberpistole, sondern die Autorin hat real existierende damalige Fälle recherchiert und stellt sie in dem Buch gut aufbereitet dar.
Und ganz nebenbei erfahren wir so etwas über die Entwicklung der Polizeiarbeit, woran insbesondere Kommissar Gennat maßgeblichen Anteil hatte. Damals war die Mordkomission Berlin europaweit ein Vorbild.
Sachbuch oder Unterhaltung? Hier wird beides vorzüglich vereint! Aus meiner Sicht deshalb klares Daumen hoch für:
Regina Stürickow: Kommissar Gennat ermittelt
Eine kostenlose Leseprobe finden Sie bei Interesse unter diesem Link.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag der Deutschen Einheit!
Ihr
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt / M.A.