Nostalgie am Abend
Eben war ich bei einem historischen Vortrag in einem kleinen Städtchen am Rhein, und da wurde ich ein wenig nostalgisch. Denn einige Jahre zuvor war ich bereits dort gewesen und hatte ungefähr eine Woche in einem Hotel verbracht. Das ist mir in Erinnerung geblieben:
Besagtes Hotel hatte ich ausgewählt, weil es mir aus der Zeit gefallen schien. Neben dem Eingang hingen in einer Glasvitrine Werbefotos - aus den 1960ern oder 1970ern, mit entsprechendem Charme. Teilweise schwarzweiß, wenn ich mich richtig erinnere.
Als ich am Eingang klingelte, dauerte es einige Zeit, bis mir ein älterer Herr öffnete und sich als der Hotelbesitzer vorstellte. Als ich mein Begehr vorgetragen hatte, meinte er sinngemäß, er müsse nachschauen, ob noch ein Zimmer frei sei. (An der Wand hinter ihm war ein Regal mit allen Zimmern inklusive Zimmerschlüsseln angebracht - es hingen soweit ich es sah alle Schlüssel dort.)
Ja, ich hätte Glück, ich könne ein Zimmer haben und hätte freie Auswahl. Bis auf zwei Zimmer im ersten Stock - dort seien Dauergäste einquartiert. Ich blickte ihn wahrscheinlich fragend an, denn er erläuterte: Das seien die Zimmer seiner Eltern, die seien in ihrem Ruhestand zu ihm ins Hotel gezogen. Pause. Inzwischen auch seit einiger Zeit verstorben (der Hotelbesitzer mochte vielleicht Ende 70 sein), doch die Zimmer habe er unberührt gelassen.
Er nahm sich zusammen. Wann ich denn frühstücken wolle? Dann würde er der Küche und dem Zimmermädchen entsprechend Bescheid sagen.
Mein Zimmer hatte 1960er Jahre Charme, was im Winter aber auch bedeutete, dass es schlecht isoliert war und kühl. Aber ich fühlte mich pudelwohl. Beim Frühstück am nächsten Morgen servierte der Hotelbesitzer persönlich den Kaffee. Und er war in der Küche. Und an der Rezeption, immer wenn ich zurückkehrte.
Mit anderen Worten: Es gab in diesem Hotel nicht eine(n) einzige(n) Angestellte(n). Der Hotelbesitzer war einsam auf der Wacht, und ich war sein einziger Gast. Er war keineswegs verbittert, sondern wirkte durchaus in sich ruhend, ruhig und freundlich und mit etwas melancholischen Zügen. Und damit gewann er nach einigen Tagen gewissermaßen einen Platz in meinem Herzen.
Nun war ich also wieder an diesem Ort. Was ist aus dem Hotel geworden?
Das traf mich: Geschlossen, Tür verrammelt, gewissermaßen Spinnweben im Schaukasten - Besitzer verstorben, an dieser Stelle soll ein neues Projekt entstehen (Abriss und seelenloser Neubau?).
Und da war ich dann doch etwas traurig und gedachte des einsamen Hotelbesitzers. Er ruhe in Frieden und ist hoffentlich im Licht mit seinen Eltern wieder vereint.
Zitat des Tages:
„Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.“ – Rainer Maria Rilke