P2P Kredite und Ethik: Passt das zusammen?

P2P Kredite und Ethik: Passt das zusammen?

Anmerkung in eigener Sache: Das Thema P2P Kredite hat mich bisher nur peripher tangiert. Finanzierung von Konsumkrediten - klang für mich nicht gerade für eine ethisch korrekte Investitionsmöglichkeit mit Herz und Verstand.

Da ich in dem Bereich bestenfalls gepflegtes Halbwissen habe, freue ich mich, Ihnen hiermit einen Gastbeitrag von Denny Neidhardt präsentieren zu können. Der Berliner hat sich mit seinem Blog auf den Bereich P2P Kredite spezialisiert und sein hier wiedergegebener Beitrag bietet aus meiner Sicht nützliche Informationen zu dem THema P2P Kredite auch und gerade unter ethischen Gesichtspunkten. Es folgt der Gastbeitrag:

Bei P2P Krediten handelt es sich um eine vergleichsweise neue und alternative Form der Geldanlage, bei der Privatanleger mit Investitionen in Privatkredite eine marktüberdurchschnittliche Rendite im zweistelligen Prozentbereich erzielen können.

Möglich machen das in erster Linie die Verbraucher, die solche Darlehen in Anspruch nehmen. Also die Kreditnehmer. Das Bild dieser Personen ist schnell gezeichnet: Verarmt, ausgebeutet und notleidend. Privatinsolvenzen stehen auf dem Spiel und die schwache Bonität führt dazu, dass Banken die Tür zum Kreditgeschäft eiskalt zumachen.

Daher scheint es nur folgerichtig, dass wenn die eigene Existenz auf dem Spiel steht, man auch dazu bereit ist eine Kreditverzinsung von teilweise mehreren hundert Prozent in Kauf zu nehmen.

Ist es unter diesen Umständen ethisch und moralisch vertretbar, am Leid dieser Menschen mitzuverdienen?

Wer sind die Kreditnehmer von P2P Krediten?

Das von mir in der Einleitung skizzierte Szenario wird sehr häufig verwendet, wenn man oberflächlich auf das Thema „Ethik und P2P Kredite“ schaut. Aber entspricht das auch der Realität? Wer sind tatsächlich die Kreditnehmer von P2P Krediten?

Auf den Einzelfall lässt sich das nur schwer herunterbrechen. Aber nachdem ich die Daten der führenden europäischen P2P Plattformen ausgewertet habe, zeigten sich ein paar interessante Auffälligkeiten.

Am meisten hat mich dabei die auffällig hohe Wiederholungsquote bei den Kreditnehmern beeindruckt, welche meistens in einem Bereich zwischen 50 und 65 Prozent lag. Würde man das erwarten, wenn die Kreditnehmer vermeintlich über den Tisch gezogen werden? Oder gibt es schlicht keine anderen Alternativen für den Kreditnehmer, sodass dieser gezwungen wird weitere Kredite aufzunehmen?

Persönlich glaube ich eher, dass langfristige Kundenbeziehungen im P2P Kredite Umfeld nicht so ungewöhnlich sind, wie man von außen vielleicht denkt. Diesen Umstand mache ich in erster Linie an der Entscheidungsgewalt der P2P Plattform fest und weniger an der vermeintlichen Alternativlosigkeit der Kreditnehmer. Denn wenn der einzelne Kreditnehmer nicht dazu in der Lage ist seine Verbindlichkeiten zu bedienen, warum sollte man diesem dann erneut einen Kredit ausstellen?

Warum werden Kredite aufgenommen?

Was sehr häufig unterschätzt wird ist der Umstand, dass der Zugang zum Kreditwesen keine Selbstverständlichkeit ist. Besonders nicht außerhalb Deutschlands. Während wir hierzulande mehr als 1.600 Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken besitzen, sind es in Osteuropa – wo sich ein großer Markt an Nicht-Banken Kreditgebern entwickelt und etabliert hat – deutlich weniger. Selbst die Bankenlandschaft in Großbritannien umfasst nur überschaubare 300 Institutionen.

Alternativlosigkeiten und Unterfinanzierungen spielen also durchaus eine gewisse Rolle. Ein schönes Beispiel ist dafür der Lette Martins Sulte, seines Zeichens CEO von Mintos. Dieser benötigte für die Finanzierung seines MBA Studiums damals dringend einen Kredit und bekam diesen von der Bank – trotz Nachweis und Absicherung durch eine Immobilie – nicht bewilligt. Stattdessen unterstützte ihn die Plattform Prodigy Finance. Ein Netzwerk ehemaliger INSEAD-Alumni, bei der Martins seinen MBA absolvierte.

Heute ist Mintos, gemessen am finanzierten Kreditvolumen, der aktuell größte P2P Marktplatz in Europa. Von 6,6 Mrd. Euro, die 2019 über P2P Plattformen und Marktplätze vermittelt worden sind, entfielen allein 3 Mrd. Euro auf den lettischen P2P Marktplatz.

Es ist nur ein Beispiel. Aber es verdeutlicht, wie wichtig ein bestehendes Angebot im alternativen Kreditmarkt durch Nicht-Banken sein kann.

Ein weiterer wichtiger Faktor, warum sich Kreditnehmer für das P2P Kreditangebot entscheiden, ist die Geschwindigkeit. Während Bankenkredite für gewöhnlich Vor-Ort Termine, Papierkram und einen langen Entscheidungsprozess nach sich ziehen, was am Ende vielleicht auch noch in einer Absage gipfelt, können digitalisierte und innovationsfreundliche FinTechs die Entscheidung über die Kreditvergabe bereits innerhalb weniger Minuten treffen.  Die Vorzüge einer einfachen, schnellen und transparenten Kreditabwicklung sind definitiv ein zusätzlicher Grund dafür, warum sich Kreditnehmer für P2P Kredite entscheiden. 

Wie teuer sind "PayDay Loans" tatsächlich?

Im P2P Sektor sind insbesondere die Kurzzeitkredite, im angelsächsischen Raum auch als PayDay Loans bekannt, die Renditetreiber schlechthin. PayDay Loans kennzeichnen sich insbesondere durch eine kleine Kreditsumme (meistens bis zu 500 Euro), eine kurzfristige Kreditlaufzeit (14 bis 30 Tage, manchmal bis zu 60 Tage), dass diese unbesichert sind (keine zugrunde liegenden Sicherheiten, die verpfändet werden könnten) sowie einen extrem hohen Zinssatz.

PayDay Loans sind gewissermaßen der Teufel unter den „Ausbeuter-Krediten“. Wer hier keine Abzocke riecht, hat den Blick für die Realität verloren. Aber schauen wir mal, wie teuer diese Kurzzeitkredite tatsächlich sind.

Als Beispiel nehmen wir einen effektiven Jahreszins von 400% (APR; Annual Percentage Rate). Das entspricht aktuell dem durchschnittlichen Zinssatz für kurzfristig laufende Konsumkredite auf Mintos. Bei einem Kreditnehmer, der ein Darlehen in Höhe von 500 Euro aufnimmt und nach 30 Tagen komplett zurückzahlt, entstehen in diesem Beispiel Gebühren in Höhe von 164,38 Euro. In anderen Worten: Der Kreditnehmer muss ziemlich genau ein Drittel der ursprünglich geliehenen Kreditsumme an Gebühren für das Darlehen zurückbezahlen.

Ob das jetzt viel oder wenig ist, soll jeder für sich beantworten. Wer will, der kann sich in meinem Artikel über PayDay Loans mal durchlesen, warum der effektive Jahreszins so teuer ist und welche Kostenfaktoren die Anbieter von Kurzzeitkrediten mit berücksichtigen müssen.

Regulatorische Vorschriften grenzen Missbrauch ein

Um eine Verhältnismäßigkeit zwischen „Schaffung eines Kreditangebots für Verbraucher“ und „Verhinderung von Missbrauch durch Wucherzinsen“ herzustellen, können die Länder individuell über die gesetzlichen Rahmenbedingungen bei der Kreditvergabe bestimmen. Besonders interessant sind dabei vor allem die Vorschriften im Rahmen der Zinssatzbeschränkungen. Aktuell haben21 der 28 EU-Mitgliedsstaaten eine solche Obergrenze definiert, um den Missbrauch durch Wucherzinsen einzudämmen.

In Deutschland hat bei dieser Debatte der Bundesgerichtshof die Frage nach der moralischen Legitimität und der sozialen Gerechtigkeit gestellt. Welche Zinssätze kann man für den Zugang zu Krediten verlangen, die häufig auf die finanziell schwächsten Verbraucher abzielen? Als Ergebnis kam heraus, dass der effektive Jahreszins nur maximal das Doppelte des von der Aufsichtsbehörde BaFin berechneten Marktzinssatzes betragen darf.

In Litauen hingegen, wo es bereits seit ein paar Jahren schon gesetzliche Rahmenbedingungen für die Online-Kreditvergabe zwischen Privatpersonen gibt, liegt der maximale Zinssatz für Konsumkredite bei 75 Prozent.

Eine weitere Vorschrift der litauischen Zentralbank lautet hingegen, dass das Verbindlichkeiten-Einkommensverhältnis (Engl.: debt-to-income ratio) nicht mehr als 40 Prozent betragen darf. Das bedeutet, dass bei einem monatlichen Einkommen von 1.000 Euro, die monatlichen Verbindlichkeiten (u.a. für Leasing, Kreditkarten, etc.) nicht mehr als 400 Euro betragen dürfen.

Das monatliche Einkommen muss für Kreditnehmer also mindestens 60 Prozent höher sein als die im Monat durchschnittlichen Schulden, um in der Folge weitere Verbindlichkeiten aufnehmen zu können. Auch somit kann ein sinnvoller Schutz im Sinne der Verbraucher integriert werden.

Fazit: Sind P2P Kredite unethisch?

Die Finanzierung fremder Konsumschulden und der damit einhergehenden eigenen Gewinnerzielung, ist ein moralisch stark aufgeladenes Thema. Eine finale Antwort, ob das jetzt nun gut oder böse sei, kann und will ich nicht geben, weil ich mich nicht als den Anwalt der Geldanlage P2P Kredite begreife. Mein Anliegen besteht darin einen offenen Diskurs zu fördern, sodass man am Ende selbstbestimmt entscheiden kann, wo man sein Geld am besten anlegen kann. Informieren statt konvertieren.

Insofern hoffe ich, dass ich mit diesem Beitrag ein paar neue Einblicke liefern konnte, die vielleicht dazu beigetragen haben gängige Klischees und Stereotype zu hinterfragen.

 Persönlich habe ich bei diesem Thema eher weniger Bauchschmerzen, da für mich die Frage im Zentrum steht, um wen es sich eigentlich bei den Kreditnehmern handelt. Auch wenn die Sozialsysteme außerhalb Deutschlands nicht so stark ausgeprägt sein mögen, gehe ich davon aus, dass existenziell bedrohliche Situationen durch die Leistungen des Staates aufgefangen werden. Dass solche Kreditnehmer überhaupt finanziert werden würden, halte ich obendrein für so gut wie ausgeschlossen.

Ich sehe hingegen eher Kreditnehmer im Zentrum der Debatte, die Konsumkredite für den Gebrauch von Verbrauchs- und Luxusgütern in Anspruch nehmen und die ein Leben auf Pump führen wollen. Bin ich ein Fan davon? Sicherlich nicht. Zumindest entspricht es nicht meinem eigenen Lebensstil.

Aber genauso wenig steht es mir zu, mich darüber zu erheben. Die Autonomie und Selbstbestimmung jedes Einzelnen gilt es zu respektieren, ebenso wie ich keine Rechtfertigung darüber abgeben möchte, wofür ich privat mein Geld ausgebe. Oder investiere.

Autor: Denny Neidhardt ist ein 31 Jahre junger Finanzblogger und Buchautor aus Berlin, der seit Januar 2019 regelmäßig über die „Geldanlage P2P Kredite“ schreibt und seine Erfahrungen mit anderen Privatanlegern teilt. Auf seinem Blog re:think P2P Kredite analysiert er dafür die Geschäftsmodelle einzelner P2P Plattformen, hinterfragt deren Entwicklungen und beobachtet übergeordnete Trends aus der Welt des Crowdfundings. Seinen Content findet man – teilweise exklusiv – auch auf seinem YouTube-Kanal.

Michael Vaupel

"Fairness, Respekt vor Mensch und Tier sowie der gewiefte Blick für clevere Investment-Chancen - das lässt sich meiner Ansicht nach sehr wohl vereinen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Ansicht gemeinsam vertreten werden - auch gegen den Mainstream."

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