Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechen
Ich bin jemand, der zur politischen Meinungsbildung gerne zu Veranstaltungen aller möglichen Politiker/innen hingeht - um mir mein eigenes (höchst subjektives) Bild zu machen. Bereits im zarten Studentenalter fiel mir dabei eine Politikerin äußerst positiv auf:
Genau, Sahra Wagenknecht. Eine sehr gute Rednerin, gut aussehend, mit durchaus kontroversen Ansichten. Sie hatte - und offensichtlich hat - ihren eigenen Kopf. Mit ihrer Partei konnte ich nicht besonders viel anfangen, doch sie als Person finde ich nach wie vor bemerkenswert.
Sie kümmert sich nicht um "political correctness", vertritt ihre meist durchdachten Ansichten (sie ist Diplom-Volkswirtin) mit Rückgrat, eckt an - aber das hält sie nicht davon ab, für ihre Überzeugungen einzustehen. Das finde ich auch dann anerkennenswert, wenn ich selbst andere politische Ansichten habe.
Eine Politikerin, die ich als aufrichtig und zu ihren Überzeugungen stehend wahrnehme. Und das ist in der heutigen Zeit nicht wenig, finde ich. Wie üblich kann ich mich natürlich irren.
Langen Geschwafels, kurzer Sinn: Das neue Buch von Sahra Wagenknecht "Die Selbstgerechten" habe ich umgehend gelesen. Hier meine Anmerkungen dazu:
Ein wichtiger Anspruch jedes Liberalismus etwa ist Toleranz im Umgang mit anderen Meinungen. Den typischen Linksliberalen dagegen zeichnet gerade das Gegenteil: äußerste Intoleranz gegenüber jedem, der seine Sicht der Dinge nicht teilt. Auch kämpft der Liberalismus traditionell für rechtliche Gleichheit, der Linksliberalismus dagegen für Quoten und Diversity, also für ungleiche Behandlung unterschiedlicher Gruppen.
Dabei differenziert sie übrigens zwischen dem aktuellen Linksliberalismus und dem der 1970er Jahre, den sie strikt davon abgrenzt (den Linksliberalismus der damaligen FDP würdigt sie). Sie prangert hingegen an, dass bei der heutigen "Linken" mehrheitlich nicht mehr soziale oder wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt stehen - sondern Fragen des Lebensstils und "moralische Haltungsnoten".
Da ist es wichtiger, "Haltung zu zeigen" und auf Twitter zu hyperventilieren in selbstgerechter Pose. So sind "Diversity-Freunde" bei der Abgrenzung von Bevölkerungsschichten gegeneinander aktiv und feiern sich selber dafür. Eine politisch korrekte sprache, die "mit der deutschen Sprache nur noch bedingt zu tun hat", zeigt sich auch an diesem genannten Beispiel: Illegale Einwanderer sollen laut Berliner Senat nun also "undokumentierte Migrantinnen und Migranten" genannt werden. Da lässt sich nur der Kopf schütteln.
Zitierwürdig finde ich noch diesen Abschnitt aus der Einleitung des Buchs (Seite 18):
Mit diesem Buch positioniere ich mich in einem politischen Klima, in dem cancel culture an die Stelle fairer Auseinandersetzung getreten ist. Ich tue das in dem Wissen, dass ich nun ebenfalls „gecancelt“ werden könnte. Doch in Dantes Göttlicher Komödie ist für diejenigen, die sich in Zeiten des Umbruchs „heraushalten“, für die „Lauen“, die unterste Ebene der Hölle reserviert…
Das spricht für sich. Verweis auf Wikipedia - wonach sich in der Göttlichen Komödie die "lauen Seelen" in der Vorhölle befinden.
Was sie laut eigener Aussage möchte:
Das Buch ist ein "ausdrückliches Plädoyer für eine liberale, tolerante Linke anstelle jener illiberalen Denkströmung, die heute für viele das Label links besetzt."
Mit anderen Worten: Sie teilt kräftig aus, sie hat eine Vision, und sie redet frei - und begründet -, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Für mich war das höchster Lesegenuss und ich kann die Lektüre politisch Interessierten nur empfehlen.
Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechten
Mit herzlichem Gruß!
Ihr
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt / M.A.