Bundestagswahl: Neue Bücher
Im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl habe ich mir vorgenommen, die Bücher einiger völlig unterschiedlicher Kandidaten/innen zu lesen.
Beispielsweise "Die Selbstgerechten" von Sahra Wagenknecht, da lautete mein Fazit:
Sie teilt kräftig aus, sie hat eine Vision, und sie redet frei - und begründet -, wie ihr der Schnabel gewachsen ist.
Für mich war das höchster Lesegenuss und ich kann die Lektüre politisch Interessierten nur empfehlen.
Unter diesem Link finden Sie meine Rezension
Inzwischen habe ich zwei weitere neue Bücher von einer Kandidatin und einem Kandidaten für den Bundestags gelesen. Hier meine Anmerkungen:
Im neuen Buch von Alexander Graf Lambsdorff "Wenn Elefanten kämpfen" ist der Untertitel Programm: "Deutschlands Rolle in den kalten Kriegen des 21. Jahrhunderts". Moment Mal, kalte Kriege? In der Tat:
Denn der Autor sieht einen bevorstehenden "kalten Krieg" zwischen den USA und China...was auch die Europäische Union betreffen könnte. Und Lambsdorff sieht uns = Deutschland bzw. die Europäische Union keineswegs als Nabel der Welt, sondern eher als "Gras" im Sinne des afrikanischen Sprichwortes:
"Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras."
Bedeutet dies, dass der Autor eine fatalistische Denkweise an den Tag legt und beschreibt? Klares Nein. Er spricht durchaus Klartext im Hinblick auf seine Ansichten, was getan werden sollte.
Doch als eigentliche Stärke des Buches sehe ich die Einordnung in eine geschichtliche Perspektive. Lambsdorff tritt sozusagen einen Schritt von der Tagespolitik zurück und ordnet die Politik von China oder Russland oder der Türkei oder Indien historisch ein.
Deshalb geht es in dem Buch auch um Dinge wie die Seeschlacht von Tsushima 1905, als eine japanische Flotte eine russische Flotte besiegte und das aufhorchen ließ. Wie, ein ostasiatisches Land kann eine der imperialistischen Großmächte besiegen? Das hatte Auswirkungen bis hin nach Ägypten, so der Autor.
Oder Beispiel Russland seit 1930. Hier lässt der Autor die Zeitgeschichte Revue passieren - aber diesmal aus russischer Sicht. Während aus deutscher Sicht z.B. 1945 ein Tiefpunkt ein 1990 ein Hochpunkt war, war es im Falle Russlands in etwa genau anders herum.
Und in den 1990ern führte die Demokratie in Russland dazu, dass es zu einer Art Anarcho-Kapitalismus kam, der gerade den "kleinen Leuten" schadete. In so einem Umfeld war beim Volk dann eben Stabilität und Stärkung der außenpolitischen Rolle Russlands gefragt. Nachvollziehbar.
Und China? Da verweist Lambsdorff z.B. beim Thema Hongkong auf das 19. Jahrhundert und die China von Großbritannien aufgezwungenen "Opium-Kriege".
Diese Perspektivwechsel fand ich sehr gut. Die eigene Geschichte prägt manchmal doch...bzw. sie beeinflusst auch aktuelle Handlungen und Ansichten. Das gilt auch für unsere Europäische Union.
Was die Schlussfolgerungen für die Gegenwart betrifft, da hat Alexander Graf Lambsdorff Ansichten, die mit dem französischen Präsidenten konform gehen. Das mag man gut finden oder nicht. Mir persönlich war es etwas zu sehr "schwarz-weiß", wie er im Gegenzug politische Positionen konservativer osteuropäischer Staaten als klar falsch hinstellt.
Was mir noch gut gefallen hat, sind die in sehr begrenztem Maße eingeflochtenen persönlichen Anekdoten des Autors. Wenn er berichtet, wie er in den 1990ern bei einem Sprachkurs in Russland vor Ort mitbekam, wie seine Wohnungsgeber - ein älteres russisches Ehepaar - unter der Wende materiell litten, dann ist das eine bildliche Ergänzung seiner Thesen.
Und wenn er kokettierend einwirft, dass die Seeschlacht von Tsushima verhindert worden wäre, wenn man auf seinen Ur-Ur-Großonkel gehört hätte (der damals in der Tat Außenminister des Zaren war), dann ist das gewiss einerseits kokettierend - andererseits erzeugt es Nähe und gute Lesbarkeit.
Insgesamt hatte ich nach der Lektüre des Buches das Gefühl, dass es sich hier um eine Bewerbungsschrift für den Posten des Außenministers handelt. Ich habe das Buch mit Erkenntnisgewinn und intellektuellem Genuss gelesen.
Alexander Graf Lambsdorff: Wenn Elefanten kämpfen
Eine kostenlose Leseprobe finden Sie bei Interesse unter diesem Link.
Dann zum Buch der Kandidatin Annalena Baerbock mit dem Titel "Jetzt".
Hier zeigt sich ein anderer Aufbau. Frau Baerbock setzt zum Beispiel mehr auf persönliche Erlebnisse, die sie dann wiederum zum Anlass nimmt, über größere Dinge nachzudenken und dann zu einem Fazit = konkreter politischer Forderung zu kommen. Ganz nach dem Motto, das würde ich machen, wenn ich König von Deutschland...ehm Bundeskanzlerin wäre.
Beispiel Gleichberechtigung: Ihre persönliche Geschichte dazu ist, dass sie als Studentin beim Jobben einen Euro (oder eine Mark?) pro Stunde weniger bekam als ein männlicher Kollege, für die gleiche Arbeit. Außerdem habe sie für eine syrische Flüchtlingsfamilie eine Wohnung gesucht. Das war aber nicht einfach, etc. pp., natürlich hat es am Ende doch geklappt.
Ihr Fazit dann, ich zitiere: "Wir müssen im Widersprüchlichen das Verbindende suchen. (...) Illiberale Politik spaltet, Liberalität und soziale Teilhabe schaffen Zusammenhalt."
Das war mir zu viel "Politiker-Sprech", ich drohte schon einzunicken. Ich las dann doch weiter, und erfreulicherweise wurde es auch deutlich konkreter.
Beispiel "Industriepaket für die Zukunft": Da schlägt Annalena Baerbock vor, Klimaverträge mit Unternehmen zu schließen. Wer in emissionssenkende Technologien investiert (z.B. die Energieversorgung der eigenen Produktion von Braunkohle auf Synthesegas oder Erneuerbare umstellt), der soll einen Zuschuss erhalten. Und zwar die Differenz zwischen dem CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten.
Warum die Differenz? Nun, die Investitionen sparen ohnehin etwas ein für das Unternehmen (aufgrund des positiven CO2-Preises).
Außerdem fordert sie Quoten für CO2-freie Produkte. Beispielsweise CO2-freier Stahl, der mit Einsatz von grünem Wasserstoff hergestellt werden kann. Oder die Forderung, dass der Bund als Vorbild vorangeht und bei Ausschreibungen solche "grünen" Produkte bevorzugt. Das soll auch und besonders z.B .bei der Nahrung für Kantinen gelten. Wenn da saisonal, regional und "bio" Kost für Bundeseigene Kantinen vorgeschrieben wird, könnte das Signalwirkung haben.
Bei solchen Punkten zeigte sich Frau Baerbock also erfreulich konkret - was mir persönlich deutlich lieber ist als austauschbare Politiker-Worthülsen.
Was mir indes auffiel, waren die fehlenden Angaben zur Finanzierbarkeit. Denn schön und gut, den Unternehmen Investitionen in emissionsmindernde Technologien zu einem großen Teil zu erstatten. Aber wer soll das bezahlen? Eine Einführung der Vermögenssteuer, die an einer Stelle einmal auftaucht, finde ich keineswegs optimal. Denn wir leben bekanntlich in einem Nullzins-Umfeld. Es gibt in dem Sinne aktuell keinen risikolosen Zins, wie es früher einmal war z.B. durch Kauf von Staatsanleihen.
Wer sein Geld nur auf der Bank hat, vielleicht sogar Negativzinsen zahlt, der soll dann auch noch eine Vermögenssteuer zahlen? Das wäre dann eine Substanzsteuer, und das kann es ja wohl nicht sein. Aber das ist nur meine unmaßgebliche Ansicht.
Insgesamt hatte ich bei der Lektüre des Buchs einige Male das Gefühl, Frau Baerbock möchte sich als bodenständige Politikerin mit Herz und Gefühl aus dem Volk darstellen. Genau, "darstellen" - denn für meinen Geschmack betonte sie ein bisschen zu oft, wie sehr sie kleinen Leuten zuhört und wie idyllisch sie aufgewachsen ist und wie schön es doch in Brandenburg ist. Aber gewiss, es mag stimmen, was weiß ich schon dazu.
Insgesamt hat mir Frau Baerbock mit dem Buch einige interessante Denkanstöße gegeben gerade im Hinblick auf den Umbau unserer Volkswirtschaft hin zu einer "grünen" Volkswirtschaft. Mit dem Thema "Wasserstoff" z.B. befasse ich mich seit Jahren. Das Buch wirkt aus meiner Sicht eher für den "Mainstream" geschrieben und bereitete mir nicht so intellektuelles Lesevergnügen wie die Bücher von Frau Wagenknecht und Herrn Lambsdorff.
Eine kostenlose Leseprobe finden Sie bei Interesse unter diesem Link.
Haben Sie auch eines oder mehrere der genannten Bücher gelesen? Falls ja, wie war Ihr Eindruck? Ich würde mich über Kommentare unter diesen Beitrag oder per Email (info@ethische-rendite.de) sehr freuen.
Mit herzlichem Gruß!
Ihr
Michael Vaupel
Diplom-Volkswirt / M.A.