Rezension: Der überforderte Frieden

Auf Messers Schneide

Rezension: Der überforderte Frieden

11. November 1918, 11 Uhr. Der Erste Weltkrieg endet mit dem Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918. Also heute vor 100 Jahren.

Unterzeichnet wurde der Waffenstillstand übrigens in einem Salonwagen der "Compagnie Internationale des Wagons-Lits" - vor dem Ersten Weltkrieg ein europäisches Unternehmen von Weltrang, das Schlafwagen und Luxuszüge betrieb (darunter den "Orient-Express").

Im Ersten Weltkrieg wurde in Deutschland gewissermaßen als Ersatz die MITROPA AG („MITteleuROPäische Schlaf- und Speisewagen Aktiengesellschaft“) gegründet. Diese wiederum wurde 2004 von der britischen Compass Group gegründet.

Deren Aktie ist übrigens recht interessant, in einer entsprechenden Analse habe ich diese unter die Lupe genommen:

Premium-Analyse Compass Group

Doch das nur am Rande. Denn in diesem Beitrag möchte ich eine interessante Neuerscheinung aus dem renommierten C.H. Beck Verlag besprechen:

Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918-1923 des Historikers Jörn Leonhard

Der Titel bringt auf den Punkt, um was es geht. Es gab keine "Stunde Null", zu der der Krieg endete und der Frieden begann. Nehmen wir Ost- und Südosteuropa, wo es auch nach dem 11.11.1918 zu diversen Gewalttätigkeiten kam, und dann natürlich der Bürgerkrieg in Russland, der dort mehr Opfer kostete als die ersten drei Jahre des Ersten Weltkriegs.

Äußerst interessant fand ich auch die umfangreiche Schilderung der Vorbereitungen und Verhandlungen zum Versailler Vertrag. Bisher hatte ich mich damit nur am Rande beschäftigt...war ja ein Diktatfrieden, von wegen Verhandlungen, die Vertreter des Deutschen Reichs sollten im Grunde nur unterschreiben...

Das war im Wesentlichen auch so, aber keineswegs von Anfang an absehbar. So gab es gerade beim US-Präsidenten Wilson den Quellen zufolge durchaus ehrlichen Enthusiasmus im Sinne einer "neuen Zeit": Völkerbund, offene Verhandlungen, Freiheit der Meere, Anti-Imperialismus...und auch diverse britische Teilnehmer gingen davon aus, dass die vorige Einigung innerhalb der Alliierten nur das Vorspiel für die dann folgenden Verhandlungen mit den Deutschen waren.

Nach der Lektüre des Buchs wurde mir klar, dass ein solcher Friedenskongress ähnlich wie der Wiener Kongress eine ganz eigene Dynamik entwickeln kann, alleine aufgrund der Teilnehmerzahl. Beispiel Presse, die z.B. auf "exotische" Teilnehmer wie Lawrence von Arabien erpicht war, oder auch die Eindrücke des später bekannt gewordenen John Maynard Keynes, dessen zitierte Eindrücke ich höchst lesenswert fand.

Dann gab es auch interessante Informationen zu Nischen-Themen. Beispielsweise die Tatsache, dass die Pariser Friedenskonferenz für internationale Waffenhändler sehr lukrativ war.

Denn neu gegründete Staaten wollten für ihre neuen Armeen Waffen - und Großmächte demobilisierten (teilweise). Dann tummelten sich interessante Persönlichkeiten wie die rumänische Königin, der "britische Chemieprofessor" Chaim Weizmann, Geographen, Ethnologen, Staatsrechtler...es ging geographisch von Samoa bis Eupen-Malmedy...

Hartmannswillerkopf Elsass Erster Weltkrieg

Ihr Autor mit einem Franzosen und einem US-Amerikaner an einem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs (Hartmannswillerkopf im Elsass)

Was ich angesichts des Titels des Buches etwas unpassend fand: Die ersten 300-400 Seiten gehen um die schwierigen Bemühungen diverser Seiten, den Krieg zu beenden. Ich hätte erwartet, dass das Buch sozusagen am 11.11.1918 einsetzt, was nicht der Fall ist. Da fand ich den Titel etwas irreführend.

Es blieb aber bei ca. 1280 Seiten Text und dann weit über 200 Seiten Anmerkungen noch genügend Raum für interessante Informationen.

Der Schreibstil ist relativ nüchtern-sachlich, aber durchaus verständlich, wenn auch Vorwissen zu der Thematik vorhanden sein sollte. Mir persönlich gefällt ein lebhafterer Schreibstil, bei dem auch einmal einige Anekdoten eingebaut werden, besser - ich nenne da als Beispiel den australischen Historiker Christopher Clark. Das soll die wissenschaftliche Arbeit des Autors Jörn Leonhard nicht mindern!

Und an Fehlern habe ich gerade einmal eine Kleinigkeit gefunden: Auf Seite 1308, Anmerkung 219, wird als Quelle "Sonthaus, World War One" angegeben. Der gute Mann heißt alllerdings Lawrence Sondhaus (mit "d").

Mein Fazit: Für diejenigen, die sich mit der Thematik des Ersten Weltkriegs befassen, bietet Der überforderte Frieden von Jörn Leonhard interessante Informationen zur unmittelbaren Nachkriegszeit. Allerdings werden zu Beginn einige Hundert Seiten altbekannte Dinge zur Endphase des Ersten Weltkriegs wiederholt und der Umfang des Buchs inkl. der zahlreichen Anmerkungen erfordert konzentrierte Lektüre.

Eine kostenlose Leseprobe finden Sie übrigens unter diesem Link

Ich selbst hatte mich mit einem Franzosen und einem US-Amerikaner auf den Weg zu einem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs gemacht und darüber 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs berichtet - hier meine Eindrücke:

Reise zu einem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs

Und hier noch das Zitat zum Feierabend:

"Es gibt kühne Piloten und es gibt alte Piloten. Aber keine kühnen, alten Piloten!" - Ernest Templeton

 

Michael Vaupel

"Fairness, Respekt vor Mensch und Tier sowie der gewiefte Blick für clevere Investment-Chancen - das lässt sich meiner Ansicht nach sehr wohl vereinen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Ansicht gemeinsam vertreten werden - auch gegen den Mainstream."

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2 Gedanken zu “Rezension: Der überforderte Frieden

Lothar WolfGeschrieben am  4:49 am - Nov 12, 2018

Der diktierte Frieden war im Grunde „unconditional surrender“ des deutschen Kaiserreichs.
Die Franzosen plünderten DE aus und legten die Voraussetzungen für den 2ten Weltkrieg. Ein Chinese würde sagen Gesichtsverlust mit barbarischen Folgen.
Gruß
Lothar Wolf

    Michael VaupelGeschrieben am  7:23 am - Nov 12, 2018

    Da ist was dran. In den 1920er Jahren gab es durchaus Möglichkeiten, den Diktaktfrieden abzumildern, was ja auch Außenminister Stresemann erfolgreich genutzt hat. Er starb dann leider, kurz bevor ein von ihm erreichtes Ziel (Ende der französischen Besatzunge des Rheinlands) durchgeführt wurde. Auch die Reparationen wurden Ende 1932 gestrichen. Und gerade das Duo Stresemann-Briand unternahm hoffnungsvolle Ansätze für deutsch-französische Versöhnung. Hätte auch anders ausgehen können, wenn Hindenburg 1933 einen anderen Reichskanzler ausgewählt hätte.

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