Rezension „Fremdenzimmer“
Als ich das Buch "Fremdenzimmer" des Autors José Francisco Agüera Oliver (prächtiger Name!) gelesen hatte, fühlte ich mich gleich etwas beschränkter, da ich mit nur einer Sprache aufgewachsen bin.
Der Autor hingegen beschreibt seine Kindheit und Jugend in einem "Schwarzwaldstädtle", wo er als Sohn einer spanischen Gastarbeiterfamilie mit Spanisch bzw. Andalusisch und dem alemannischen Dialekt aufgewachsen ist - und später in der Schule dann Hochdeutsch lernte.
In seinem Buch "Fremdenzimmer" schildert er in Essay-Form, wie er die Sprachen regelrecht entdeckte und sich an sprachlichen Unterschieden und Feinheiten erfreute und erfreut.
So beschreibt der Autor zum Beispiel die Herausforderung, Sätze wie diesen "Morge Nochmittag gemmer in d Heibere. Saisch aber de Mama, si sott eich e alde Hos ruslege, wenn se hit Obed hoimkunnt" für die Mutter ins Anadlusische zu übersetzen.
Hier einige Zitate aus dem Buch:
Ganz nebenbei erfuhr ich aus dem kurzen Zwiegespräch aber auch, wie elegant ein »Du« und das fremdhöfliche »Sie« in der direkten Ansprache mit einem distanziert wohlwollenden »Ihr« oder »Euch« zur Möglichkeit wurde, einen Zwischenton zu wählen, ohne das Selbstwertgefühl des Heranwachsenden anzutasten.
Wi goht´s ihm e so? Mr het schu long nix meh vonem ghört!
Es hat etwas Spielerisches, wenn man sich selber als ein »Er« gegenübersteht und das »Ich« schnurstracks in ein »Er« münden lassen darf oder umgekehrt.
Es ist zwischenzeitlich eine Freude, bei der Lektüre zu spüren, wie sich der Autor mit dem Alemannischen beschäftigt hat und wie seine Freude an gewissen Formulierungen hervorblitzt. Natürlich hilft es, dabei ein wenig Alemannisch zu verstehen.
Mir sind einige Aussagen aber zu abstrakt und wenig greifbar. Da ist mir das Buch dann vielleicht zu "hochliterarisch", wie es vom Verlag zum Werk hieß.
Die eigene Sprache zu entdecken, und ich bezeichne deshalb auch einen Dialekt als Eigensprache, bedeutet immer auch sich die Aussagen bewusst vor Augen zu führen, die in ihr getroffen werden, die sie überliefern und deren Reichweite nicht mehr wahrgenommen wird.
Der Aufbau des Buches - es ist im Grunde eine Zusammenfassung diverser Essays - behagt mir nicht recht, da dies natürlich zu Sprunghaftigkeit bei der Behandlung der Themen führt. Eine Art durchgehende Autobiographie unter Einbeziehung der subjektiven Wahrnehmung des Autors hätte mir persönlich mehr zugesagt.
Der Autor José Francisco Agüera Oliver versteht es, zu schreiben, gewiss. Wie er Sprache und Dialekt zwischenzeitlich gewissermaßen seziert, hat etwas. Insgesamt aber ist bei mir bei der Lektüre von Fremdenzimmer der Funke nicht richtig übergesprungen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Feiertag!
Michael Vaupel